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VERONA: Neues in Verona: Der Nabucco im Nabucco

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Neues in Verona: Der Nabucco im Nabucco

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    Schlüsselszene Gefangenenchor: Nabucco in der Arena, Nabucco auf der Bühne, Nabucco auf den Rängen. Die Italiener auf den Rängen lassen auf die habsburgischen Besatzer im Parkett Programme hageln.
    Schlüsselszene Gefangenenchor: Nabucco in der Arena, Nabucco auf der Bühne, Nabucco auf den Rängen. Die Italiener auf den Rängen lassen auf die habsburgischen Besatzer im Parkett Programme hageln. Foto: Fotos: FOTO Ennevi,Fondazione Arena di Verona

    Das hätte so niemand erwartet. Keiner. Giuseppe Verdis „Nabucco“ in der Arena di Verona – fernab jeder Tradition. Fernab der alttestamentarischen Erzählung. Fernab der ollen Kamellen a la „als die Babylonier frech geworden“, die Hebräer geknechtet wurden und ihr trauriges Schicksal an den Ufern des Euphrat beklagten, angeführt von Hohepriestern mit Rauschebart. Wer auf derlei Brauchtumspflege nicht verzichten möchte, der kann sich in diesem Sommer den Weg nach Oberitalien sparen. Wer allerdings eine hoch spannende, brillant durchdachte, konsequent moderne Opern-Inszenierung sucht, der wird hier heuer fündig.

    Die Verpflichtung des 50-jährigen französischen Opernregisseurs Arnaud Bernard, ausgewiesener Spezialist für das italienische Opernfach, erweist sich in diesem Festival-Sommer als Glücksgriff für die Arena. Denn Bernard erlaubt sich für Veroneser Verhältnisse Unerhörtes: Er entschlackt den Opernklassiker „Nabucco“, verlegt die Handlung in die Besatzungszeit Italiens im 19. Jahrhundert und politisiert die Oper damit konsequent zu einem Statement gegen die Donaumonarchie.

    Mailand, Zentrum des Widerstands

    Der babylonische König Nabucco wird zum Kaiser Franz von Österreich, die intrigante Abigaille zur Hofmarschallin, Fenena, die Tochter Nabuccos, zur österreichischen Prinzessin, ihr Geliebter Ismaele zum italienischen Offizier und der Hohepriester Zaccaria zum Mailänder Widerstandskämpfer Giuseppe Mazzini.

    Was da auf die Zuschauer zukommt, wird schon vor Beginn der Vorstellung klar, wenn per Durchsage das „hochverehrte Publikum“ darauf hingewiesen wird, „dass Pistolen, Gewehr- und Kanonenschüsse Bestandteil der Inszenierung sind“. Und das Spektakel nimmt bereits bei den ersten Klängen der Ouvertüre seinen Lauf. In Scharen stolpern Hundertschaften verletzter Soldaten, wehrhafter Bürger, Priester und Krankenschwestern auf die Bühne, während ringsherum im gewaltigen Bühnenhalbrund des antiken Amphitheaters ein hell-flammendes Kanonen-Inferno losbricht.

    Der Regisseur verlegt die Oper in ihre Entstehungszeit

    Wir befinden uns in der Zeit des italienischen Risorgimento (etwa Wiedererstehung), des Strebens des italienischen Volkes nach nationaler Einheit, in der Zeit der Besatzung Italiens durch das habsburgische Österreich. In der Zeit, als der junge Verdi (1813-1901) mit seinem „Nabucco“ über Nacht Weltruhm erlangte und der Gefangenenchor darin zum Symbol und zur Hymne gegen die verhassten Besatzer wurde.

    Der Name Verdis wandelte sich in dieser Zeit zum nationalen Unabhängigkeitsschlachtruf: Viva Verdi! Wobei das Wort Verdi als Akronym zu lesen ist: „Viva Verdi“ stand für „Viva Vittorio Emanuele Re d?Italia“ – der Ruf nach einem König für das befreite Italien. Allein mit diesem Hintergrund und dem Wissen von Verdis fast fanatischer Begeisterung für die Einigung Italiens (frühe Opern Verdis, wie „Il Lombardi“, „Alzira“, „Attila“ enthielten immer versteckte musikalische Botschaften mit dem Aufruf zum Widerstand), erschließt sich der Gedanke, die Handlung des „Nabucco“ in diese Epoche zu legen.

    Die Oper in der Oper wird zum Schauplatz einer politischen Demonstration

    Dreh- und Angelpunkt der Bühne von Alessandro Camera ist eine symbolträchtige, halb zerschossene Fassade der Mailänder Scala. Symbolträchtig deshalb, weil zu Verdis Lebzeiten Mailand das Zentrum des italienischen Widerstandes war und die Scala das musikalische Wahrzeichen dafür.

    Zur schönsten, gewaltigsten und am heftigsten umjubelten Szene des Abends gerät – erwartungsgemäß – der Gefangenenchor im dritten Akt. Hier bricht Arnaud Bernard seine bis dahin stringente Inszenierung mit einem genialen Trick und einem weiteren Zeitsprung auf. Die bislang geschlossene Fassade der Mailänder Scala öffnet sich und gibt den Blick frei in ihr Inneres, mit hell erleuchteten, voll besetzten Logen und Parkett. Das Parkett wird von den Österreichern dominiert, in den Logen randalieren die Italiener, auf der Bühne singen die Hebräer ihren berühmten Gefangenenchor. Eine „Nabucco“-Inszenierung in einer „Nabucco“-Inszenierung.

    Die musikalische Abteilung steht der szenischen in nichts nach

    Bühnenbild, Lichtregie (Paolo Mazzon) und Orchester schaffen hier ein szenisches Meisterwerk: Zu den ersten Piano-Klängen des Chors sind Sitzreihen und Logen noch in Halbdunkel getaucht. Mit Fortschreiten und Crescendo von Melodie und Emotionen wird der Saal immer heller, gleißend am Ende, als es von den Rängen Programmhefte auf die verhassten Österreicher hagelt und italienische Flaggen von den Logen herabwehen.

    Vom legendären Abend der Uraufführung 1842 wird berichtet, dass der Chor einen so wilden Beifallssturm in der Scala auslöste, dass er wiederholt werden musste. Die Bilder gleichen sich in der Arena. Der Chor muss auch im Hier und Jetzt wiederholt werden.  

    Die zerschossene Fassade der Mailänder Scala ist das Zentrum des riesigen Bühnen-Halbrunds.
    Die zerschossene Fassade der Mailänder Scala ist das Zentrum des riesigen Bühnen-Halbrunds.

    Doch der Abend ist nicht nur szenisch überragend. Die musikalische Abteilung steht dem in nichts nach. Allen voran die Stimme der jungen slowenischen Sopranistin Rebeka Lokar. Wenn man weiß, dass in Verona (anders als etwa in Bregenz) ohne Mikrofon und Verstärker gesungen wird, dann gehören diese Leistungen in den Bereich des Außerordentlichen.

    Rebeka Lokar singt die aberwitzig schwierige Partie der Abigaille nicht nur mit fulminanter Durchschlagskraft, ohne jegliche Schärfe bei den zahlreichen Hohen Cs, sie artikuliert auch noch überdeutlich. Gleiches gilt für den überragenden polnischen Bassisten Rafael Siwek, einen ausgewiesenen Verdi-Spezialisten, der den Zaccaria mit majestätisch sonorem Ton wuchtig attackierend und mit dunklem Leuchten in der Simme singt.

    Echte Italianita im antiken Oval

    Ihm steht der argentinische Bariton Leonardo López Linares in der Titelpartie ebenbürtig gegenüber, leicht abfallend (das liegt aber auch in der Natur der Rolle) der Ismaele von Mikheil Sheshaberidze.

    Der Chor und das 300 Mann starke Orchester der Arena di Verona verbreiten von Anfang an unter der Leitung von Jordi Bernacer genau das, was es im gewaltigen Oval der Arena braucht – Stimmung und echte Italianita.

    Überschwänglicher Jubel für Dirigent und Ensemble. Dazu eine weitere Überraschung und eine Premiere in der Arena: stehende Ovationen für die Regie von Arnaud Bernard. Im streng operntraditionalistischen Italien eigentlich unvorstellbar.

    Weitere Aufführungen: 12., 18., 23., 26. August, jeweils um 20.45 Uhr. Die Inszenierung wird wegen des Erfolgs 2018 wiederaufgenommen. Karten unter www.arena.it

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