New York (dpa) Das Beschreiben medizinischer Eingriffe ist eine Leidenschaft von Noah Gordon. Der amerikanische Schriftsteller hat dies in seiner erfolgreichen "Medicus"-Roman-Trilogie detailgetreu exerziert, angefangen vom Handwerk der mittelalterlichen Bader bis zu den Chirurgen der Neuzeit. Der frühere Wissenschaftsjournalist ist fasziniert von dem Berufsstand: "Wir wollen alle unser Leben verlängern, und die Macht darüber haben die Ärzte. In vielen Kulturen sind die Heiler Heilige", sagt der Autor, der heute, Samstag (11. November), 80 Jahre alt wird.
Gordon recherchierte jahrelang auf dem Gebiet der Medizin. Die interessanteste Begegnung, die zu einer lebenslangen Freundschaft führte, war die mit dem Chef-Pathologen der renommierten Harvard Medical School. Der wollte sich nur interviewen lassen, wenn Gordon beim Sezieren eines toten Babys zusehe. "Er wollte mich prüfen, ob ich nicht gleich umkippe, wenn ich eine Leiche sehe", erinnert sich der Autor. Danach gingen die Männer ein Steak essen. Gordon wurde nicht schlecht, im Gegenteil: Er war fasziniert.
Um noch tiefer in die Materie einzusteigen, ließ er sich zum Chirurgie-Techniker ausbilden und arbeitete im Notdienst. Viele Notfälle, zu denen er gerufen wurde, hat er in seinen Romanen verarbeitet. "Als Journalist hätte ich die wirklich interessanten Geschichten nicht erfahren. Aber als Mitarbeiter wurde ich von den Ärzten und Schwestern als Kollege akzeptiert und konnte einen Blick hinter die Kulissen werfen."
Es hat sich gelohnt: "Der Medicus" (deutsch 1987) wurde weltweit in Millionenauflage verkauft - es geht um den schottischen Waisenjungen Jeremy Cole, der in Persien Heilkunst studiert. Der Folgeband "Der Schamane" (1992) über die Nachkommen Coles im amerikanischen Bürgerkrieg blieb zwei Jahre lang ununterbrochen auf der Bestseller-Liste des "Spiegel". Im dritten Teil, "Die Erben des Medicus", steht die junge Ärztin Roberta Cole im Amerika der 1980er Jahre im Mittelpunkt. Sie muss sich mit dem amerikanischen Gesundheitssystem, Abtreibungen, Aids und der Alkoholsucht ihres Liebhabers auseinander setzen. Warum Gordon mit seinen Romanen gerade in Deutschland sensationelle Erfolge genoss - allein der erste Band verkaufte sich hierzulande fünf Millionen Mal - liege an der "Ehrfurcht der Deutschen vor den Göttern in Weiß", schrieb ein Kritiker. Die "Medicus"- Trilogie sei die literarische Entsprechung zur TV-Serie "Schwarzwaldklinik". Auch wenn Gordon mangelnde stilistische Feinheit vorgehalten wird, so lässt sich ihm großer Unterhaltungswert kaum absprechen. "Ich mag keine Sprachexperimente, das lenkt den Leser nur von der Geschichte ab. Ich mag klare, einfache Sätze, denn ich will, dass der Leser mich bequem verstehen kann."
Der Erfolg ist dem in Massachusetts geborenen Sohn jüdisch-russischer Einwanderer nicht zu Kopf gestiegen, zumal er in den USA nicht so bekannt ist wie in Europa. Zusammen mit seiner Frau lebt der Vater von drei erwachsenen Kindern auf dem Land nahe Boston. "Luxus ist, dass ich mir um Geld keine Sorgen zu machen brauche." In den vergangenen Jahren wurde es ruhig um Gordon. Seit 1999 "Der Medicus von Saragossa" erschien - der Roman spielt im Spanien der Inquisition des 15. Jahrhunderts und hat die Judenverfolgung und Zwangschristianisierung zum Thema - gab es nur noch ein Kinderbuch: "Tiergeschichten."