Er saß wegen Wilderei im Gefängnis; er zog als Söldner für die Niederlande in den Krieg; er musste sich verstecken, weil er im anglikanischen England als Katholik im Untergrund gearbeitet hatte: alles Spekulationen. Was William Shakespeare zwischen etwa 1585 und 1592 getrieben hat – man weiß es nicht. „Lost Years“, verlorene Jahre, wird diese Zeitspanne in der Shakespeare-Forschung genannt. Genau genommen ist aber auch über die restliche Biografie des Dichters und Dramatikers nicht allzu viel bekannt. Eigentlich weiß man nicht einmal, wann genau Shakespeare geboren wurde, auch wenn am 23. April sein 450. Geburtstag gefeiert wird.
Völlig daneben ist das Datum nicht: „Ins Taufregister der Trinity Church in Stratford-upon-Avon wurde William Shakespeare am 26. April 1564 eingetragen“, sagt Isabel Karremann. Üblicherweise wurde ein Kind zwei oder drei Tage nach der Geburt getauft. „Eingebürgert hat sich der 23. April auch deswegen, weil das der Tag des heiligen Georg ist, des Schutzheiligen Englands“, erklärt die Inhaberin des Lehrstuhls für Englische Kultur- und Literaturwissenschaft der Universität Würzburg. Hinter dem Geburtsdatum steckt also auch eine Portion Patriotismus.
Der junge William besuchte die Grammar-School in seiner Geburtsstadt, wo er Latein lernte, arbeitete dann in der Handschuh-Manufaktur seines Vaters. „Bekannt ist auch, dass er Ende 1582 die acht Jahre ältere Anne Hathaway heiratete“, erzählt Isabel Karremann. Bereits im Mai 1583 wurde Tochter Susanna geboren, knapp zwei Jahre später kamen die Zwillinge Hamnet und Judith zur Welt. Dann verliert sich die ohnehin dünne Spur. „Er hat jedenfalls Stratford und die Familie verlassen“, sagt Karremann. 1592 dann verspottete der Londoner Dichter Robert Greene Shakespeare als ungebildeten Emporkömmling, der wenig Latein und noch weniger Griechisch könne. Spätestens da muss der ehemalige Handschuhmacher als Autor in London gearbeitet haben.
Immer wieder wurde – und wird – bezweifelt, dass der Mann aus Stratford Verfasser all dieser großartigen Tragödien und Komödien sein könnte. Eigenhändige Shakespeare-Manuskripte gibt es ebenso wenig wie Autobiografisches. Die Zweifler argumentieren ähnlich wie Pamphlet-Verfasser Greene: Shakespeare habe nicht genügend Wissen gehabt. All die mythischen, historischen und politischen Anspielungen in „Hamlet“, „König Lear“, „Sommernachtstraum“ und wie die Stücke alle heißen, seien ihm nicht zuzutrauen – er habe sich mit fremden Federn geschmückt.
Shakespeare-Kennerin Karremann glaubt, dass der Stückeschmied immer wieder mit anderen zusammenarbeitete, hält die Diskussion um die Autorenfrage aber für „nachrangig“ und für ein Relikt des Geniekults aus dem 19. Jahrhundert. Entscheidend seien die Texte und die Frage, was sie uns heute zu sagen hätten. Offenbar eine ganze Menge: Kein anderer Dichter aus derart alter Zeit ist heute noch derart präsent, ob auf der Bühne, ob in alltäglich genutzten Zitaten. Woran liegt das? „Es ist nicht so, dass seine Stücke uns überzeitliche Wahrheiten über die menschliche Natur verraten“, erklärt Isabel Karremann. „Seine Dramen stellen nichts fest, sie stellen dem Zuschauer etwas vor.“ Das werde dann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Karremann: „Es ist eine Einladung zum Weiterdenken und Weiterstreiten.“ Mag die Welt zu Shakespeares Zeit auch völlig anders ausgesehen haben: Probleme von mehreren Seiten zu betrachten und darüber zu diskutieren, ist noch heute eine gute Idee und funktioniert auf der Bühne prächtig.
Noch besser funktioniert hat sie wohl zu Shakespeares Zeiten, denn: „Moderne Theater sind Guckkasten-Bühnen. Da ist immer eine unsichtbare Wand zwischen Publikum und Schauspielern“, so Karremann. Shakespeare und Zeitgenossen wie Thomas Middleton oder John Webster nutzten dagegen Theaterbauten, die das Publikum einbezogen: Die Zuschauer standen oder saßen rund um das Geschehen, das sich quasi mitten unter ihnen entfaltete, und sahen es so, ganz wörtlich, von verschiedenen Seiten. Es gibt heute Nachbauten von Shakespeares „Globe“, zum Beispiel in London, aber auch Deutschland, etwa in Schwäbisch Hall. Dort entstehe „ein ganz anderes Theatererlebnis“, erzählt Isabel Karremann. „Da wird der Zuschauer animiert, sich auch mal mit Zwischenrufen einzumischen.“ Was man im 16. Jahrhundert auch ausführlich getan hat.
William Shakespeare brachte es in London zu Wohlstand. Er war Autor und Schauspieler. Verdient hat er aber vor allem als Teilhaber an der Theatertruppe und an Theaterbauten. In seinen letzten Lebensjahren kehrte er nach Stratford-upon-Avon zurück und zog sich mehr und mehr aus dem Theaterbetrieb zurück. Er starb 1616 – am 23. April. Auch das Todesdatum mag die nachträgliche Festlegung des Geburtstages beeinflusst haben.
Woran der erst 52-Jährige starb, ist unbekannt. Die Bandbreite der Spekulationen reicht von Typhus bis zu den Folgen eines fröhlichen Gelages. Finden lässt sich derlei im Internet, denn auch in der Gerüchteküche des www. ist der Engländer gut vertreten. Sogar als Kiffer und Kokser, seit Wissenschaftler auf dem Shakespeare-Grundstück Pfeifenreste mit Marihuana- und Kokainspuren fanden. Freilich weiß keiner, ob das Rauchzeug überhaupt dem Dichter gehörte.
Werke
Die Zahl der (erhaltenen) Dramen Shakespeares wird heute üblicherweise mit gut drei Dutzend angegeben. Eine Auswahl:
Tragödien: Romeo und Julia (1595) Hamlet (um 1601) Othello (um 1604)
König Lear (um 1605) Macbeth (um 1608)
Komödien:
Die Komödie der Irrungen (um 1591) Der Widerspenstigen Zähmung (um 1594) Ein Sommernachtstraum (595/96) Der Kaufmann von Venedig (1596) Viel Lärm um nichts (um 1598/99) Wie es euch gefällt (um 1599) Die lustigen Weiber von Windsor (1600/01) Was ihr wollt (um 1601)