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Restaurierte Restaurierung

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Restaurierte Restaurierung

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    Restaurierte Restaurierung
    Restaurierte Restaurierung

    Eine makellose Schönheit ist sie nicht. Aus der Nähe betrachtet, wirken die Gesichtszüge der Frau leicht entstellt. Die rote Farbe der Wangen ist verschmiert, als wäre ihr beim Schminken der Puderpinsel aus den Fingern gerutscht. Ihre Augen sind blass. Sie hat einen Silberblick. Doch das erkennen Besucher der Hofkirche im Südflügel der Würzburger Residenz normalerweise nicht. Das Bild der Frau befindet sich in der Mittelkuppel, in fast 19 Metern Höhe. Die Restauratoren Elke Umminger und Stefan Lochner kommen der Unbekannten ganz nah. Sie arbeiten auf einer Gerüstplattform. Bei Untersuchungen fanden sie heraus, dass die Frau zwei Gesichter hat. Unter ultraviolettem Licht betrachtet, wirkt ihr Antlitz wie verwandelt, als wäre ein Schleier weggezogen. Die Frau schaut selbstbewusst aus großen Augen. Die Gesichtszüge sind durchmodelliert, ausdrucksstark, wirken dreidimensional.

    Blick in die Vergangenheit

    UV-Licht ermöglicht den Restauratoren einen Blick in die Vergangenheit: auf die originalen Deckengemälde von Johann Rudolph Byss. 1735/36 hat der damals 75-jährige Künstler mit Gehilfen die drei Gewölbekuppeln der von Balthasar Neumann entworfenen Hofkirche samt den Zwickelfeldern ausgemalt. Es wurde kein Werk für die Ewigkeit. Gut zwei Jahrhunderte später, am 16. März 1945, hielten die Kuppeln dem Bombenangriff zwar stand. Beim Löschen der brennenden Dachstühle drang jedoch Feuchtigkeit in Gewölbe und Mauerwerk. Auch Regenwasser richtete große Schäden an, da die Residenz lange kein Dach hatte. Da Byss wasserlösliche Farben verwendete, wurden Teile seiner Gemälde ausgewaschen. Von 1959 bis 1961 versuchte Karl Körner bei den ersten Restaurierungsarbeiten zu retten, was zu retten war, und setzte eigene Akzente.

    „Wo noch viel von der originalen Malerei vorhanden war, dort fügte er möglichst wenig hinzu“, beschreibt Elke Umminger die Vorgehensweise ihres Vorgängers. „Körner hat versucht, die großen Lücken zu schließen“, sagt Stefan Lochner. Joachim Fuchs, Leitender Baudirektor und Chef des Staatlichen Bauamtes Würzburg, beschreibt den Auftrag Körners: „So viel wie möglich sichern und nicht, so viel wie möglich den Stil von Byss nachahmen.“ Nun, rund 50 Jahre später, muss die erste Restaurierung selbst restauriert werden. Seit Mitte März nimmt die „Arbeitsgemeinschaft Lochner-Umminger“ aus Münnerstadt die rund 300 Quadratmeter umfassenden Deckengemälde der Hofkirche unter die Lupe. Momentan steht die Lokalisierung beziehungsweise Kartierung der Schäden an, anhand der das Sanierungskonzept entwickelt wird. „Durch die Analyse der Daten wollen wir nicht nur wissen, wo ein Schaden ist und wie er beseitigt wird, sondern warum er entstand“, sagt Fuchs, der gesamtverantwortlich für die Arbeiten ist. Umminger und Lochner, die auch bei der Restaurierung von Treppenhaus und Kaisersaal der Residenz mitgewirkt haben, untersuchen Quadratzentimeter für Quadratzentimeter der Kuppeln und dokumentieren alles in Pläne, die später digitalisiert werden: Schäden an der Secco-Malerei, Risse im Putz, Salzkrusten, Sinterflecken, Verschmutzungen, Hohlstellen zwischen Raumschale und Malschicht. Sie kennzeichnen auch vorhandene Originalpartien von Byss sowie Übermalungen von Karl Körner. Dabei hilft UV-Licht. Umminger und Lochner werden beides restaurieren, das Byss-Original und die Körner-Retuschen und -Ergänzungen. „Sie zählen zum exemplarischen Wiederaufbau der Residenz nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Gerhard Weiler, Leiter der Würzburger Schloss- und Gartenverwaltung. Denn nicht nur für ihre barocke Baukunst und Ausstattung sei die Würzburger Residenz mit ihrer Hofkirche in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen worden, sondern auch für exemplarische Restaurierungen. Stefan Lochner nennt einen weiteren Aspekt, die Übermalungen zu erhalten: „Nicht nur Byss, auch Körner hat wasserlösliche Farben verwendet. Wir könnten die Retuschen nicht abnehmen, ohne das Original zu zerstören.“

    Wer die Deckengemälde bewundern möchte, muss sich gedulden. Voraussichtlich im Mai 2012 werden die Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten beendet sein. Solange bleibt die Hofkirche geschlossen. Währenddessen gibt es ein „Tunnel-Kino“ mit Fotografien, die den Zustand vor der Restaurierung veranschaulichen; dazu in Kürze einen Film über die Arbeitsprozesse. Besucher erreichen den Tunnelgang, der 20 Meter in den Kirchenraum hineinragt, über den Haupteingang der Hofkirche. Dort hängen auch die Abbildungen der Frau mit den zwei Gesichtern. Und zwei Fensteröffnungen geben die Sicht auf die beiden Altarbilder von Giovanni Battista Tiepolo frei. Es sind Drucke. Die Originale werden bis 2012 im Ovalsaal in der Residenz ausgestellt.

    Durchblick auf die Baustelle

    Am meisten verblüfft im Tunnelgang der Durchblick auf die Baustelle. Der Kirchenraum ist mit einem geordneten Gewirr aus Stangen ausgefüllt. „Vier Monate hat es gedauert, bis das Gerüst stand“, sagt Baudirektor Fuchs. Bei einem Rundgang in Höhe des Hauptgesimses zeigt der Fachmann auf die enormen Auflösungserscheinungen bei den Zierdekorationen aus Kalk und Gips. Die weißen Flecken sind Salzausblühungen – eine Reaktion auf die Restfeuchte im Mauerwerk. Das Material dehnt sich in Verbindung mit Wasser aus, kristallisiert, verpulvert, sprengt die gemalte Oberfläche des grauen, rötlichen oder hellgelben Stuckmarmors. Dem zerstörerischen Prozess hält auch eine Vergoldung nicht stand.

    „Die Ausblühungen werden bis auf den Kern entfernt, dieser wird dann entsalzt“, beschreibt Weiler die anstehenden Arbeiten. Danach werden anhand von Fotos die Dekorationen wieder so hergestellt, wie sie waren. Das bedeutet: „Ein Stuckateur von heute muss sich in die Handschrift eines Stuckateurs von damals – in die Kunst von Antonio Bossi – hineindenken“, so Weiler.

    Für Joachim Fuchs ist jede Schadensstelle ein Einzelfall. „Wir müssen nicht nur bemalte, sondern auch jede goldglänzende Oberfläche prüfen. Denn wir sehen Gesundes und wissen nicht, ob dahinter nicht etwas Krankes entsteht.“ Dieser Aufwand erklärt, weshalb sich die Restaurierung über fast drei Jahre hinzieht und 3,5 Millionen Euro kostet.

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