Als „Paukenschlag in der Kunstszene“ geht die Nachricht durch ostdeutschen Medien: Die Brücke-Sammlung von Herman Gerlinger verlässt das Museum Moritzburg in Halle/Saale. Gegenüber dieser Redaktion hat der Würzburger Sammler seinen Grund für die Trennung geäußert: Ein Bild seiner Sammlung ist aus dem Landeskunstmuseum verschwunden.
Die Sammlung des 85 Jahre alten Würzburgers zählt zu den bedeutendsten Privatsammlungen und ist von internationalem Rang. Sie umfasst mehr als 1000 Einzelwerke der expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ (von 1905 bis 1913), dazu gehören Gemälde, Druckgrafik, Aquarelle und Zeichnungen von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Emil Nolde . . .
Leihvertrag gekündigt
Kunstfreunde in der Region hofften lange, dass die Expressionisten in einem „Brücke“-Museum in Würzburg eine Heimat finden könnten. Doch dieser Versuch war um die Jahrtausendwende gescheitert. Anschließend empfing Sachsen-Anhalt den Sammler mit offenen Armen und präsentiert dessen Bilder seit 2001 als Dauerleihgabe im Landeskunstmuseum Moritzburg. Das wurde 2008 dafür aufwendig erweitert.
„Ich habe den Leihvertrag mit Schreiben vom 18. Oktober 2016 gekündigt“, sagt Gerlinger, Ehrenbürger der Stadt Halle. Im April 2017 werden die Bilder abgehängt. Er habe das Vertrauen in die Museumsleitung verloren, weil ein Werk des Künstlers Karl Schmidt-Rottluff aus dem Jahr 1975 nicht mehr auffindbar ist. Die Zeichnung „tu l'as volue“ liegt Gerlinger sehr am Herzen. Denn zu diesem Brücke-Künstler hat er eine besondere, persönliche Beziehung. Ein Holzschnitt Schmidt-Rottluffs war auch das erste Werk seiner Sammlung. Der Kunstliebhaber hatte es sich als Student in Ratenzahlung gekauft.
Bis Mai 2015 war das Selbstbildnis auf der Moritzburg in der Sonderausstellung „Du und ich“ zu sehen. Einige Monate später fragte Gerlinger nach dem Bild. Doch die Museumsleitung konnte es nicht finden. „Wir dachten ursprünglich, dass wir ihm die Zeichnung bereits übergeben hätten“, erklärt Christian Philipsen, Generaldirektor der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt, der für das Museum zuständig ist.
Einzelne Werke der Sammlung, die gerade nicht ausgestellt waren, seien in den vergangenen Jahren immer wieder an das Ehepaar Gerlinger gegeben worden. Laut Gerlinger wurden diese Ausleihvorgänge per beidseitiger Unterschriften bestätigt. „Für das fehlende Bild gibt es keine.“
Nachdem auch die monatelange Durchsuchung des Depots ergebnislos geblieben war, erstattete die Museumsleitung bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt. Hinweise auf einen Einbruch oder „Sicherheitslücken“ habe man bislang nicht gefunden, sagt Philipsen. „Inzwischen haben wir dem Sammler den Versicherungswert erstattet.“
Für den Stiftungsdirektor ist die Affäre des verschwunden Bildes „das letzte Glied einer Kette“, die zur Trennung nach 15 Jahren führt. Ausschlaggebend seien letztlich aber die unterschiedlichen Auffassungen, wie die Brücke-Sammlung in das Konzept des Kunstmuseums einzubinden ist. Die Museumsleitung habe vorgehabt, künftig nur noch die Gemälde Gerlingers und diese in Verbindung mit der eigenen Sammlung zu zeigen. Damit sei der Sammler nicht einverstanden gewesen. „Aber wir sind kein Privatmuseum“, betont Philipsen. Ein Geschenk – „auch, wenn es von herausragender Qualität ist“ – dürfte nicht dazu führen, dass die eigene Kunst unterrepräsentiert ist.
Der Sammler sieht das anders. „Der einzige Grund, mich aus der Moritzburg zurückzuziehen, ist das Verschwinden des Bildes. Das hat die Basis der Zusammenarbeit zerstört.“ Es habe zwar Meinungsverschiedenheiten über Ausstellungsflächen gegeben, aber „die sind längst gelöst.“ Philipsen Argumente seien falsch. „Es ist der Versuch, das Versagen des Museums zu verschleiern.“
Eine Chance für Würzburg?
Jan-Hendrik Olbertz, früherer Kultusminister von Sachsen-Anhalt, der in seiner Amtszeit geholfen hatte, die Expressionisten-Sammlung in das Bundesland zu bringen, äußerte sich gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk „erschüttert“ über das Ende der Ära Gerlinger auf der Moritzburg. Die Museumsleitung hätte alles tun müssen, um einen Konflikt zu vermeiden, um einen Sammler vom Range Gerlingers zu halten. Für Sachsen-Anhalt und das Landesmuseum sei der Verlust „sehr bedauerlich“.
Und für Würzburg ist das Aus vielleicht eine neue Chance? Gerlinger: „Im Moment beschäftige ich mich noch nicht mit der Zukunft. Aber für konkrete, substanzielle Angebote bin ich selbstverständlich offen.“