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SCHWEINFURT: Stephen Kings neuer Roman "Der Anschlag"

SCHWEINFURT

Stephen Kings neuer Roman "Der Anschlag"

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    Das Trauma von Dallas: Bis heute leiden die USA am Kennedy-Attentat des 22. November 1963 (Szene aus dem Film „JFK – Tatort Dallas“).
    Das Trauma von Dallas: Bis heute leiden die USA am Kennedy-Attentat des 22. November 1963 (Szene aus dem Film „JFK – Tatort Dallas“). Foto: Foto: Cinetext

    Für alles Ärgerliche, Hinderliche, Tragische, was uns im Leben widerfährt, hat der Volksmund einen tröstlichen Satz: Wer weiß, wozu es gut war. Das kann die erfolglose Bewerbung sein, die uns vor einem Job bewahrt, in dem wir doch nur unglücklich geworden wären. Oder die Grippe, die uns ans Bett fesselt, während andere auf der Autobahn in eine Massenkarambolage geraten.

    In seinem Roman „Geschichte machen“ hat der englische Autor und Schauspieler Stephen Fry 1996 durchgespielt, wie die Geschichte auch hätte verlaufen können, hätte es keinen Adolf Hitler gegeben. Das Ergebnis ist ernüchternd.

    Stephen King, der Altmeister des literarischen Horrors, schickt nun in seinem neuen Roman („Der Anschlag“) seinen Helden durch eine Art Zeitreise-Kaninchenloch aus der Gegenwart in das Jahr 1958 zurück, um das Kennedy-Attentat 1963 zu verhindern. Im Original heißt das Buch „11/22/63“, das Datum also, an dem JFK in Dallas von einem gewissen Lee Harvey Oswald erschossen wurde/werden wird.

    Interessanterweise ist Kennedy offenbar vor allem aus europäischer Sicht ein umstrittener Präsident. Der Held, Jake Epping, lässt sich jedenfalls von seinem sterbenden Freund Al davon überzeugen, dass fünf Jahre Leben in der Vergangenheit es wert sind, um den großen Hoffnungsträger des liberalen Amerika zu retten. Zumindest gehen die beiden davon aus, dass der Vietnam-Krieg unter JFK niemals so eskaliert wäre wie unter Johnson.

    Epping reist also als George Amberson zurück in ein Amerika, in dem die Rechte mit der verlogenen Parole „Separate but equal“ (getrennt, aber gleich) versucht, die Rassentrennung aufrechtzuerhalten. In dem Roosevelts New Deal immer noch als kommunistisches Teufelswerk gilt und in dem Salingers „Der Fänger im Roggen“ nicht in den Schulbibliotheken zugelassen ist. Ein Land, in dem jeder immer und überall qualmt, in dem Busse und Fabriken bestialisch stinken und unverheiratete Paare „in Sünde“ leben. Es ist aber auch ein Land, in dem die Limonade noch einen unglaublich intensiven Geschmack hat, in dem die Menschen ihre Autos nicht absperren und einander einfach so helfen. Jake/George kann sich als Englischlehrer und mit Sportwetten (schließlich sind die Ergebnisse überliefert) leidlich durchschlagen, er hat aber zwei mächtige Gegner: Die Vergangenheit will nicht verändert werden und wirft ihm die absurdesten Knüppel zwischen die Beine. Und: Früher oder später werden alle misstrauisch, die er näher an sich heran lässt.

    Er redet einfach zu anders, er verhält sich einfach zu anders. So gefällt es seiner Freundin Sadie überhaupt nicht, als Jake/George einmal gedankenverloren ein paar Zeilen aus „Honky Tonk Women“ der Rolling Stones vor sich hin singt – einen höchst anzüglichen Song, der zudem erst in ein paar Jahren rauskommen wird. „Der Anschlag“ ist keine Horrorgeschichte, sondern ein brillant erzählter und kunstvoll konstruierter Roman voll Poesie, Witz und – natürlich – Spannung, der den Vergleich mit Wolfe, Auster, Eugenides oder Frantzen nicht zu scheuen braucht. Stephen King berichtet in der Ichform, der Leser kann also zumindest davon ausgehen, dass Jake/George überleben wird. King gibt bis zuletzt keinen Hinweis darauf, ob und mit welchem Ergebnis die Mission gelingen wird, und so sei es auch hier nicht verraten. King hatte die Idee zu „Der Anschlag“ seit 40 Jahren im Kopf, fühlte sich aber nicht bereit, das Buch zu schreiben. Nun hat er's getan und damit bewiesen, dass zumindest dieses seiner Werke in den Kanon der Great American Novel gehört.

    Stephen King: Der Anschlag (Heyne, 1056 Seiten, 26,99 Euro)

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