Es macht Christine Neubauer sichtlich Spaß, die Zwiderwurzn zu geben. Zwiderwurzn nennt man im Altbayerischen eine grantige, unangenehme Person, und genau eine solche spielt der TV-Star beim Eröffnungskonzert des Kissinger Sommers. Genauer gesagt: Die hochadlige, auf Bayerisch schimpfende Frau Mama des jungen Edwin, der sich in die Varietésängerin Sylva verliebt hat, weswegen seine standesgemäße Hochzeit mit Stasi (kurz für Anastasia) zu platzen droht.

Richtig: Wir sind mitten in Emmerich Kálmáns Operetten-Dauerbrenner "Die Csárdásfürstin". Eine ungewöhnliche Wahl für ein Eröffnungskonzert des Kissinger Sommers. An dieser Stelle stand in den letzten Jahrzehnten üblicherweise eine große Sinfonie, sieht man vom pandemiebedingten Duoabend mit Mischa Maisky im vergangenen Jahr ab. Alexander Steinbeis, der neue Intendant, zeigt also gleich in der Premiere, dass er mit Altgewohntem brechen will, ohne gleich zum Bilderstürmer zu werden. Schließlich ist die "Die Csárdásfürstin" mit ihrem doch leicht angestaubten Humor alles andere als Avantgarde.
Drei ausgewiesene Stars des Opernbetriebs
Muss ja auch nicht sein. Die Botschaft ist eine andere: Das Festival soll Spaß machen, und das tut es auch. Die konzertant komprimierte Operette trifft nicht nur den Geschmack der vielen höher betagten Gäste. Ein Ohrwurm jagt den anderen, jede Menge K. u. K.-Nostalgie, vor allem aber ausgezeichnete Solisten, allesamt ausgewiesene Stars des Opernbetriebs: Annette Dasch als Sylva (Sopran), Thomas Blondelle (Tenor) als Edwin und Daniel Schmutzhard (Bariton) als durch und durch unsolider Graf Boni bilden ein Ensemble der absoluten Weltklasse – gesanglich wie darstellerisch.

Witzig auch die eingestreuten Gags, etwa wenn Christine Neubauer als Fürstin Anhilte die Stacheln aufstellt: "Kein Wort zu meinem Vornamen, es gibt Leute, die heißen mit Nachnamen Schmutzhard." Ein Name, der übrigens jeder Opern-Besetzungsliste zur Zierde gereicht. Sein Träger wirft sich am linken Bühnenrand in gespielter Empörung genüsslich in die Brust.
Auch die Fürstin war früher "nur" eine Landärztin
Den gordischen Handlungsknoten durchschlägt schließlich Dirigent Alain Altinoglu, indem er darauf hinweist, dass die von Standesdünkel durchdrungene Fürstin, die sich der Heirat zwischen fürstlichem Sohn und Varietésängerin widersetzt, einst ja auch "nur" eine Landärztin war (in der Operette ist sie eine ehemalige Provinzprimadonna). Das mit Lachern eher sparsame Publikum quittiert die Anspielung auf eine von Christine Neubauers Fernsehrollen mit vergnügtem Schmunzeln.

Alain Altinoglu leitet das hr-Sinfonieorchester bei seinem Kissinger Debüt, und es ist eine reine Freude, diesen phänomenalen Klangkörper live kennenzulernen: Heller Gesamtklang, unangestrengte Wucht, außerordentlich homogene Streicher und funkelnde Holzbläser. Fast ein wenig schade, so viel Qualität auf die Begleitung einer Operette zu verwenden, könnte man vielleicht denken, aber eben auch das macht diese "Csárdásfürstin" zu einem hochklassigen Genuss. Nicht zu vergessen übrigens die astreine Unterstützung durch die Kantorei Herz-Jesu Bad Kissingen.
In der ersten Hälfte hatte es durchaus Gelegenheit gegeben, die hr-Sinfoniker zu erleben. Mit Antonín Dvořáks Konzertouvertüre "Karneval" und der Symphonischen Dichtung "Festklänge" von Franz Liszt. Der "Karneval" ist ein wunderbar buntes, turbulentes, mitreißendes Stück, mit dem die etwas länglichen "Festklänge" allerdings nicht mithalten können.
Bis zum 17. Juli bietet der Kissinger Sommer unter dem Motto "Wien, Budapest, Prag, Bad Kissingen" Sinfonie- und Kammerkonzerte, Lieder- und Opernabende, Prelude- und Wandelkonzerte und einiges mehr. Infos und Karten unter www.kissingersommer.de