Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Würzburg: Uhrwerk Mainfranken Theater Würzburg: So läuft es hinter der Bühne während einer Vorstellung in der Blauen Halle

Würzburg

Uhrwerk Mainfranken Theater Würzburg: So läuft es hinter der Bühne während einer Vorstellung in der Blauen Halle

    • |
    • |
    "Ein bisschen Iro": Maskenbildner Jakob Stenzel und Schauspieler Nils van der Horst haben sich auf einen Look geeinigt.
    "Ein bisschen Iro": Maskenbildner Jakob Stenzel und Schauspieler Nils van der Horst haben sich auf einen Look geeinigt. Foto: Thomas Obermeier

    Was passiert während einer Theatervorstellung hinter der Bühne? Der Laie stellt sich möglicherweise Hektik, Stress und maximale Anspannung vor. Vielleicht wie beim Boxenstopp in der Formel eins. Es kann sein, dass es solche Abende gibt, oder vielmehr Theater, an denen die Abende so ablaufen.

    Beim Liederabend "Sehnsuchtswild" des Mainfranken Theaters in der Theaterfabrik Blaue Halle ist es jedenfalls nicht so. Obwohl 14 singende Schauspielerinnen und Schauspieler und die vierköpfige Band rechtzeitig angezogen und geschminkt sein müssen, obwohl während der Vorstellung Perücken auf- und abgesetzt, Cocktailkleider gegen Jogginganzüge, Stiefel gegen Pumps getauscht werden müssen. Obwohl der verwinkelte Backstage-Bereich aus Verschlägen und Containertürmen reibungslose Abläufe eher nicht begünstigt.

    Die Band hat ihre Föhnfrisuren verpasst bekommen, Schauspieler Raban Bieling (links) verabschiedet sie in Richtung Bühne.
    Die Band hat ihre Föhnfrisuren verpasst bekommen, Schauspieler Raban Bieling (links) verabschiedet sie in Richtung Bühne. Foto: Thomas Obermeier

    In "Sehnsuchtswild", erdacht und inszeniert von Intendant Markus Trabusch, ist das nahezu gesamte Schauspielensemble im Einsatz. Das Stück macht aus der Not – der immer noch nicht verfügbaren neuen Spielstätte im Kleinen Haus – eine Tugend. Ein im besten Sinne bunter Abend mit Liedern, Songs und Arien, verbunden durch mehr oder weniger persönliche Geschichten der Darstellerinnen und Darsteller.

    Die Maske ist ein schmaler Schlauch mit kleinen Fenstern, die einen Blick ins Innere erlauben

    Die Bühne ist eine Art Bar. Während hier das Ensemble in immer neuen Konstellationen agiert, trudeln hinter der Bühne immer die ein, die gleich wieder in neuer, anderer Gestalt nach vorn müssen. Neue Frisur, neues Gesicht, neues Kleid.

    Ihor Tsarkov auf dem Weg in seine Garderobe - der Backstage-Bereich der Blauen Halle ist ein Labyrinth aus Containergebäuden und Verschlägen.
    Ihor Tsarkov auf dem Weg in seine Garderobe - der Backstage-Bereich der Blauen Halle ist ein Labyrinth aus Containergebäuden und Verschlägen. Foto: Thomas Obermeier

    Das läuft überraschend entspannt ab – überraschend auch für das Team in der Maske, das an diesem Abend mit Nadja Akra, Elsa Studer und Azubi Jakob Stenzel nur drei- statt vierköpfig ist. "Ich habe gedacht, wir stehen hier und schwitzen", sagt Stenzel, während er Nils van der Horsts Haare mit viel Spray nach oben toupiert. Stattdessen läuft alles wie am Schnürchen. Der Ton ist freundschaftlich und entspannt. Eine kurze Meinungsverschiedenheit über den idealen Winkel der Haare am Hinterkopf – steil nach oben (van der Horst) oder abstehend nach hinten (Stenzel) – ist schnell beigelegt. Man einigt sich auf Stenzels Vorschlag – "ein bisschen Iro".

    Der Iro muss freilich alsbald wieder eingeebnet werden, wenn Nils van der Horsts Figur zur Frau mit kastanienbrauner Mähne und langem weißen Kleid wird. Als er so auf der Seitenbühne kurz vor seinem Auftritt eine Ganzkörperdrehung übt, wirkt er im blauen Halbdunkel fast wie eine übernatürliche Erscheinung.

    Wenn Nils van der Horst auf der Seitenbühne eine Ganzkörperdrehung übt, wirkt er im blauen Halbdunkel fast wie eine übernatürliche Erscheinung.
    Wenn Nils van der Horst auf der Seitenbühne eine Ganzkörperdrehung übt, wirkt er im blauen Halbdunkel fast wie eine übernatürliche Erscheinung. Foto: Thomas Obermeier

    Die Maske ist ein schmaler Schlauch mit kleinen Fenstern, die von außen einen Blick auf die Arbeit der Maskenbildnerinnen erlauben. Links entlang geht es zu den allgemein zugänglichen Toiletten, rechts in einen internen Mehrzweckbereich, in dem Garderoben, Requisite und Bühnenbilder untergebracht sind. Wie ein kuscheliger weißer Berg ruht in einer Ecke etwa der Riesen-Flokati aus "Hoffmanns Erzählungen".

    Alle bewegen sich in geschmeidigem Zeitlupen-Ballett umeinander herum

    In der Maske ist wenig Platz, die Borde sind voll mit Schmink- und Frisierutensilien, Haarteilen, falschen Fingernägeln, Lockenstäben oder Glätteisen. An den Wänden Regale mit Perücken auf Styropor-Köpfen und Boxen mit Aufschriften wie "Koteletten", "Kleine Kinnbärte" oder "Schnurrbärte". Interessanterweise steht hier nie jemand im Weg – alle bewegen sich in geschmeidigem Zeitlupen-Ballett umeinander herum.

    Schnurrbärte für jeden Anlass: In der Maske der Blauen Halle ist das Reservoir nahezu unerschöpflich.
    Schnurrbärte für jeden Anlass: In der Maske der Blauen Halle ist das Reservoir nahezu unerschöpflich. Foto: Thomas Obermeier

    Das Team hatte auch deshalb mit mehr Stress gerechnet, weil ausgerechnet Cedric von Borries erkrankt ist, der die aufwändigste Maske trägt: alles schneeweiß, auf dem Kopf eine ausladende Perücke irgendwo zwischen Stern, Krone und Eiskristall. Sein "Cold Song" von Purcell und seine Einwürfe in Falcos "Out of the Dark" müssen nun auf zwei Personen aufgeteilt werden. Aus stimmlichen Gründen: Den "Cold Song" singt Bass Ihor Tsarkov aus dem Opernensemble, "Out of the Dark" übernimmt Martin Liema. "Das ist in Tenorlage, das kann ich Ihor unmöglich zumuten", sagt Intendant Markus Trabusch bei der kurzen Vorab-Probe für Einspringer Tsarkov.

    Plaudern, zurückziehen, umherhuschen: Alle haben ihre persönlichen Auftrittsroutinen

    Der muss nach seiner Arie sofort zurück in die Maske, damit die Perücke auf Marin Liema versetzt werden kann – es gibt nur diese eine. Während der Bass die Prozedur mit amüsiertem Gleichmut hinnimmt ("ich bin das gewohnt"), braucht der Schauspieler ein wenig Ermutigung: "Lehn dich zurück, jetzt kommt das Wellness-Programm", lockt Nadja Akra. Es ist auch nicht so sehr die Perücke, die Liema schreckt, sondern die dicke weiße Schminkschicht, die nach dem Kurzauftritt auch gleich wieder runter muss.

    Weiße Schminke und ausladende Perücke für wenige Minuten Auftritt: Martin Liema fügt sich unter den Händen von Nadja Akra in sein Schicksal.
    Weiße Schminke und ausladende Perücke für wenige Minuten Auftritt: Martin Liema fügt sich unter den Händen von Nadja Akra in sein Schicksal. Foto: Thomas Obermeier

    Es ist ein Uhrwerk, aber eines, das in mehreren Geschwindigkeiten gleichzeitig reibungslos läuft. Offenbar haben alle ihre persönlichen Auftrittsroutinen. Manche huschen auf dem Weg zur Bühne immer nur kurz durchs Bild, andere stehen plaudernd beisammen und erörtern die Vorzüge von Energy-Drinks oder die verblüffende Tatsache, dass eine Kollegin noch nie in ihrem Leben einen Burger gegessen hat. Manche rauschen gefühlt alle zehn Minuten in neuem Kostüm vorbei, ohne dass man mitbekommen hätte, wie sie sich umziehen, andere hängen zum Ratschen in der Garderobe ab. Und Jojo Rösler hat die ganze Zeit dieses gefährliche Flackern in den Augen, das ihren Auftritt mit Radioheads "Creep" (etwa: unheimlicher Sonderling) so prickelnd macht.

    Anselm Müllerschön, Deborah Barbieri, Jieun Baek, Nina Mohr und Jojo Rösler erörtern die Vorzüge von Energy-Drinks oder die verblüffende Tatsache, dass eine Kollegin noch nie in ihrem Leben einen Burger gegessen hat.
    Anselm Müllerschön, Deborah Barbieri, Jieun Baek, Nina Mohr und Jojo Rösler erörtern die Vorzüge von Energy-Drinks oder die verblüffende Tatsache, dass eine Kollegin noch nie in ihrem Leben einen Burger gegessen hat. Foto: Thomas Obermeier

    Nina Mohr bringt ganz nebenbei das kleine Kunststück fertig, begeistert von einem kürzlich gesehenen Film zu erzählen, und dabei die Lippen so steif zu halten, dass sie gleichzeitig geschminkt werden können. Hannes Berg hat als Nerd mit Kontaktproblemen bei Frauen das unaufwändigste Kostüm: Kordhose, Karohemd, Gesundheitsschuhe. Bei ihm muss nur ein wenig "die Tolle" in Form gebracht werden.

    Kurz vor Beginn treten Adrian Sieber, Jieun Baek, Felix Wiegand und Tobias Schirmer von der Band in ihren bunten 80er-Jahre-Anzügen an, um die passenden Föhnfrisur-Perücken verpasst zu bekommen. Gitarrist und Bandleader Sieber hat einen Sonderwunsch: "Die Perücke bitte feststecken. Ich muss mit dem Kopf die Einsätze geben."

    Warten auf den Auftritt: Tom Klenk verbringt die meiste Zeit auf einer Bank im Gespräch mit Ankleiderin Andrea Uliana.
    Warten auf den Auftritt: Tom Klenk verbringt die meiste Zeit auf einer Bank im Gespräch mit Ankleiderin Andrea Uliana. Foto: Thomas Obermeier

    Tom Klenk muss am längsten auf seinen Auftritt warten. Er ist erst nach der Pause dran, muss aber schon zum gemeinsamen Einsingen da sein. Er entflieht der Enge seiner Garderobe und verbringt mangels Aufenthaltsraum geschweige denn Kantine die meiste Zeit auf einer Bank im Gespräch mit Ankleiderin Andrea Uliana. Er hat seine Long-Covid-Erkrankung zum Thema seines Bühnenmonologs gemacht. Nach einer erfolgreichen Reha fühlt er sich wieder fit und wäre jetzt bereit, endlich das neue Haus einzuweihen.

    "Das Warten zermürbt", sagt Klenk. "Ich habe schon viele Baustellen mitbekommen, aber diese hier übertrifft alle." Ganz froh, wenn man das so sagen kann, scheinen sie alle, dass inzwischen keine Eröffnungstermine mehr genannt werden. Die immer neuen Verschiebungen zerren stärker an den Nerven als die Ungewissheit. "Ich wäre schon selig, wenn wir im September einziehen könnten", seufzt Isabella Szendzielorz.

    Die nächsten Vorstellungen von "Sehnsuchtswild": 28. Februar, 1. März, 19.30 Uhr (möglicherweise folgen im April weitere Termine). Karten: Theaterkasse im Falkenhaus (Di.-Sa. 10-15 Uhr), Tel. (0931)  3908-124, karten@mainfrankentheater.de

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden