Rechts auf dem Stehtischchen die Zettelkladde mit dem neuen Programm und ein frisches Hefeweizen. Links auf dem Tisch aufgeklappt und aufgestellt ein Tablet. Ja, eine digitale Dauerverbindung zur Nachrichtenlage der Welt, auch wenn der Mann, der satte drei Stunden lang zwischen den Tischen in der Bühnenmitte auf und ab läuft, gestikuliert, wippt, lästert, tänzelt, gestikuliert, eigentlich einer aus der analogen Welt „Leben 1.0“ ist. „Jetzt!“ heißt Urban Priols abendüberfüllendes Programm. Erst im rappelvollen Bockshorn, dann im lange vorher ausverkauften Mainfranken Theater analysierte der Aschaffenburger in dieser Woche in bekannter Vehemenz, Aufgeregtheit und Wucht das Hier und Jetzt „der Republik mit der fabelhaften Führungskraft“.
Aber zu Angela Merkel, „seit acht Jahren das unbefleckte Verhängnis“, später. Erst einmal arbeitet sich Urban Priol an den bisherigen Aufregern und Heucheleien des Jahres ab, erklärt, was wirklich ablief im Fall Edathy und wie der Agrarminister zum Bauernopfer wurde. Bei Priol verlängert Putin die Paralympics in Sotschi, dass die Kriegsveteranen von der Krim . . . Ja, oft reicht's, wenn Priol in Halbsätzen redet und Gedanken in Fassungslosigkeit enden. Im Saal erklingt ein vielkehligers „Ohhh“, die Lacher ersticken im Ansatz.
ZDF-Anstaltsdirektor ist der 52-Jährige nicht mehr, jetzt kann er sich wieder auf den Kabarettbühnen der Republik über Schlagzeilen freuen: „Katholisches Weltbild ist insolvent“. Oder: „Kanzlerin regiert mit Krücken“. Der Kanzlerin, seinem Lieblingsthema, habe er ja – fester Vorsatz zu Jahresbeginn! – wohlwollend begegnen wollen dieses Jahr, meint Priol. Aber dann: „Nicht mal langlaufen kann sie“. Und so reibt er sich ausufernd und langatmig weiter und weiter an ihr, solange sie wiedergewählt wird. „Bundeskanzlerin“ – man müsse die Buchstabensuppe nur lange genug rühren, dann wird „Bankzinsluder“ draus.
Und inmitten des Programms, das Stoff und Themen hat für dreieinhalb, wird der Aschaffenburger privat und ein bisschen fad. Da plaudert er über Tochter, Mietwagen mit Einparkhilfe und Scheidungsverfahren . . . nun ja. Der brillante, der böse und geniale Priol ist der, der das „Jetzt“ in Politik und Gesellschaft seziert, der lästernd analysiert und analytisch lästert – mit einem tiefen Schluck aus dem Weizenglas zum Tablet schielend. Was gibt es für einen Kabarettisten auch besseres zu tun in Zeiten, wo die Verteidigungsministerin Leopard-Panzer mit Maxi-Cosis nachrüsten lässt? Fazit des Abends: „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. Und in der Lok sitzt bald Ronald Pofalla.“