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WIEN: Venus von Willendorf: Die Rätsel und Legenden um eine Nackte

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Venus von Willendorf: Die Rätsel und Legenden um eine Nackte

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    Die von einem Künstler sehr fein gearbeitete Frau stammt aus der Steinzeit und ist wohl Österreichs bekanntestes archäologisches Fundstück. Farbreste zeigen, dass dire Skulptur ursprünglich dick mit Rötel bemalt war. Welche Funktion die weibliche Figur bei den Steinzeitmenschen hatte, darüber kann man heute nur spekulieren. Die Erklärungsversuche reichen von der Darstellung einer Göttin über ein Fruchtbarkeitssymbol oder einer Art Steinzeit-Porno bis hin zu einem Kinderspielzeug.

    „Wir können das Denken der steinzeitlichen Menschen schlicht nicht nachvollziehen“, sagt die Venus-Expertin und Kuratorin des Naturhistorischen Museums in Wien, Walpurga Antl-Weiser. Die Venus fasziniere die Menschen heute sehr, weil sie vermuten, über sie ihren Vorfahren näherkommen zu können. Doch nach Einschätzung der Expertin kann das kaum gelingen. „Alles, was wir interpretieren, machen wir vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen“, so Antl-Weiser. Da es sich im Großstadt-Dschungel deutlich anders lebt als in der Steinzeit, kann es nur Vermutungen geben. „Es war damals schon eine hochkultivierte Gesellschaft mit allen Details“, sagt Gerhard Hintringer vom Landesmuseum Niederösterreich, in dem die Venus momentan ausgestellt ist. In der Schau „Mammut, Mensch und Co. – Steinzeit in der Eiszeit“ will das Museum die Lebensumstände von damals zeigen.

    Die Menschen konnten seiner Schilderung nach schon aus der Ferne auf Tiere jagen, hatten zahlreiche Werkzeuge und ein Sozialsystem. Als Nomadenvölker zogen sie durch eine karge Natur. „Die Landschaft sah aus wie in Sibirien heute, nur ohne Regen“, sagt Hintringer. Es sei unwahrscheinlich, dass damals alle Frauen so ausgesehen hätten wie die pummelige Venus. „Es war wohl eine Art Idealbild“, vermutet Hintringer. In ganz Europa wurden nach Angaben der Experten Frauenfiguren aus Stein aus dieser Zeit gefunden. „Unsere Venus ist wohl die fülligste und am besten erhaltene“, sagt Antl-Weiser. Die Mehrzahl der Figuren stellten eher reifere Frauen dar, deshalb sei eine Deutung als Fruchtbarkeitssymbol nicht treffend. Alle Fundstücke verbinden das fehlende Gesicht und die fehlenden Füße. „Das kann keine Zufälligkeit sein, da muss irgendeine Symbolik dahinterstecken“, vermutet die Expertin.

    Auch wenn die österreichische Venus recht realistisch gehalten ist, sind ihre Geschlechtsmerkmale stark betont: „Ihre Körperfülle ist schon künstlerisch überformt, sonst müssten gewisse Körperteile mehr der Schwerkraft nachgeben.“ Doch ihre Speckfalten und ihre Knie seien so detailgetreu herausgearbeitet, dass der Künstler irgendein realistisches Vorbild gehabt haben muss, sagt Antl-Weiser. „Die Art, wie sie gestaltet ist, ist meisterhaft – das macht noch heute ihre Faszination aus.“ Ähnliche Frauenidole aus Kalkstein, Speckstein oder Elfenbein, sogar aus Ton wurden über ein 3000 Kilometer weites Verbreitungsgebiet von Europa bis nach Sibirien gefunden, mittlerweile über 200 Exemplare. Man geht heute von einer einheitlichen religiösen Vorstellung während der Spätphase dieser Zeit aus, in der bereits großer Mangel herrschte und die Geburtenrate allmählich zurückging. Am Ende dieser Phase vor 20 000 Jahren war Mitteleuropa vollständig vom Homo Sapiens verlassen worden. Erst Jahrtausende später wurde Europa neu besiedelt von einer kleinwüchsigeren Bevölkerung, die mit ganz anderen kulturellen Äußerungen die Höhlen bewohnten. Die dicken Venusfiguren waren verschwunden. In der Esoterik-Szene haben sich zahlreiche Legenden um die rätselhafte Frau aus der Steinzeit gestrickt. Es gibt Venus-Schmuck, Venus-Seife, und sie hat eine eigene Briefmarke.

    Hundert Jahre nach ihrer Entdeckung reist die Dame nun für ein paar Tage wieder an ihren Fundort Willendorf, wo ein großes Venusfest gefeiert wird. Danach zieht sie wieder in ihre mit Panzerglas gesicherte Vitrine im Naturhistorischen Museum in Wien ein. Dort besuchen sie nach Angaben von Antl-Weiser häufig Verehrer: „Es ist erstaunlich, wie viele Künstler sich heute noch mit ihr beschäftigen – sie ist eine nicht versiegen wollende Quelle der Inspiration.“

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