An Richard Wagner und seiner teils bizarren Auffassung von Kunst und Religion scheiden sich noch zwei Jahrhunderte nach seiner Geburt die Geister. Friedrich Nietzsche – vom Wagner-Verehrer zum Gegner mutiert – nahm die quasireligiöse Verehrung, die dem Dichterkomponisten schon zu Lebzeiten entgegenschlug, bitterböse aufs Korn: „Wenn Wagner zum Erlöser werden konnte, wer erlöst uns von dieser Erlösung? Wer erlöst uns von diesem Erlöser?“
Noch heute betreten jene, die den Komponisten verstehen wollen, gefährliches Gelände. Wagners Welten: Das ist emotionaler Treibsand, ideologischer Irrgarten, musikalische Hypnose, Fegefeuer und Paradies zugleich. Bis heute polarisiert er: Für seine Musik wird er geradezu vergöttert, für seine theoretischen Schriften und seinen Antisemitismus verteufelt – ein Genie mit fragwürdigem Charakter und oft an der Schwelle zum Größenwahn. Sein Ausspruch „Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche!“ wurde zum geflügelten Wort.
Das Wagner'sche Spinnennetz, mit dem er Anhänger fängt, besteht aus nordischer Mythologie, kompositorischen Grenzüberschreitungen, moralischen Wechselbädern und religiös-philosophischen Konstruktionen. In fast allen großen Opern des gebürtigen Leipzigers geht es um „Erlösung“ und um ein Opfer, das für ein höheres Ziel gebracht wird – so in „Der fliegende Holländer“, „Tannhäuser“ und „Tristan und Isolde“.
Im „Ring des Nibelungen“ müssen die Hauptfiguren sterben, ehe die Welt vom todbringenden Fluch des Goldes befreit werden kann. Im „Lohengrin“ ist die mythisch-religiöse Komponente unterschwellig präsent: Lohengrin ist als Sohn Parsifals Gralskönig. Der Gral steht hier in einer typisch Wagner'schen Mischung aus Esoterik und christlicher Legende für den „Inbegriff alles Heiligen“, den Gott den Menschen zugeführt habe. 1882, ein Jahr vor seinem Tod, teilt Wagner mit seiner als „Bühnenweihfestspiel“ bezeichneten letzten Oper „Parsifal“ – wieder spielt der Gral eine Rolle – seine Heilsbotschaft für die Menschheit mit: Die aufrichtige Anteilnahme am Schicksal anderer Menschen („durch Mitleid wissend“) ist Voraussetzung für eine entsündigte, vom Bösen befreite Gemeinschaft.
Diese Befreiung schien dem Künstler bitter nötig. Er war Zeitzeuge der industriellen Revolution mit ihren sozialen Folgen und wirkte aktiv an der Revolution von 1848/49 mit, nach der er mehr als ein Jahrzehnt ins Exil verbannt wurde.
Mit den Themen Erlösung und Mitleid stellt er auch zwei zentrale Begriffe der christlichen Lehre in den Mittelpunkt. Zeitlebens hat sich der Protestant Wagner an der christlichen Religion, ihren Symbolen und Ritualen abgearbeitet, sie infrage gestellt. Er meinte, mithilfe der Kunst könne eine Art Reformation des Christentums ins Rollen gebracht werden, das er durch eine in ihren Strukturen erstarrte Kirche am Rand der Dekadenz sah. Hartnäckig hält sich die These, Wagner habe mit „Parsifal“ den Grundstock für eine eigene Kunstreligion legen wollen und das Bayreuther Festspielhaus als „Tempel“ errichtet. Theologen sind sich bis heute uneinig in der Bewertung des „Parsifal“. Steinacker, ehemaliger Kirchenpräsident der Hessen-nassauischen Kirche, kommt zu dem Schluss, dass Wagner „wirklich eine neue Religion mit Ritus, Kultus und Mythos gründen wollte“.
Die Titelfigur Parsifal, urteilt Steinacker, stehe bei Wagner in Analogie zu Jesus. Der Münchner evangelische Theologe Jan Rohls sieht das anders. Der Komponist habe den „Geist des Christentums“ durchaus positiv gedeutet, jedoch jenseits von „Konfessionen, Dogmen und Kirchen“. Dabei habe sich Wagner bewusst als Protestant gefühlt.
1878 hatte der Gründer der Bayreuther Festspiele seine frisch vollendete „Parsifal“-Partitur an Nietzsche geschickt – mit der ironischen Widmung „Richard Wagner (Oberkirchenrat)“. Der entfremdete Freund übersah den Schabernack, den Wagner mit der Religion trieb, wenn er später über „dies zuckersüße Bimbambaumeln, dies Nonne-Äugeln, Ave-Glockenbimmeln, dies ganze falsch verzückte Himmel-Überhimmeln“ lästerte. Tief enttäuscht, dass Wagner nicht wie er selbst zum freigeistigen Atheisten wurde, dichtete Pfarrerssohn Nietzsche: „Weh! dass auch du am Kreuze niedersankst!“
Der Tod des Komponisten 1883 war für die Wagnergemeinde der Beginn einer kaum zu fassenden Heiligenverehrung – angesichts von Wagners Religionsverständnis wundert es nicht, dass aus ihm eine quasi religiöse Figur wurde. Witwe Cosima scharte in Bayreuth einen Zirkel von Getreuen um sich, der an einer völkisch-antisemitischen Wagnerdeutung arbeitete – und somit einen Grundstein für das ideologische Fundament des Nationalsozialismus legte. Text: epd/hele
„Lohengrin“ am Würzburger Mainfranken Theater
In der neuen Spielzeit klinkt sich das Mainfranken Theater ins Wagner-Jahr ein – der Komponist wurde am 22. Mai vor 200 Jahren geboren. Als erste Produktion im Großen Haus zeigt das Würzburger Theater „Lohengrin“.
Premiere der 1850 in Weimar uraufgeführten Oper ist am 29. September, 17 Uhr. Wie schon beim „Parsifal“ vor zwei Jahren arbeitete das Mainfranken Theater mit dem Kroatischen Nationaltheater Zagreb zusammen. Wie damals führt Kurt Josef Schildknecht Regie, die Musikalische Leitung hat GMD Enrico Calesso.
Die Saison startet am 14. September mit Theaterfest und Festkonzert (19.30 Uhr, Großes Haus). Tags darauf haben Tschechows „Der Heiratsantrag“ und „Der Bär“ Premiere (20 Uhr, Kammerspiele).
Vorverkauf: Tel. (09 31) 39 08-124