„Ich wurde in einem roten Nest ausgebrütet“, sagt Wolf Biermann, der am 15. November 75 Jahre alt wird. Sein Vater war jüdisch-kommunistischer NS-Widerstandskämpfer, er wurde in Auschwitz ermordet.
Noch 1963, als der Lyriker und damalige Theatermann Biermann bereits wegen seiner Kritik am Mauerbau ernste Schwierigkeiten mit dem DDR-Regime hatte, wollte er – vergeblich – in die SED eintreten. Das bereut der bekannteste DDR-Liedermacher bis heute nicht: „Aber es war natürlich eine Illusion, dass der kleine Biermann so eine reaktionäre Parteidiktatur verändern könnte.“ 1976 bürgerte ihn das SED-Regime kurzerhand aus.
Anfang vom Ende der DDR
Die DDR-Nachrichtenagentur ADN vermeldete lapidar, Biermann sei „wegen der Verletzung staatsbürgerlicher Pflichten“ aus der Staatsbürgerschaft entlassen worden. Als Vorwand diente sein legendäres Konzert in Köln drei Tage zuvor, mit dem der Künstler ein zwölf Jahre währendes Auftrittsverbot der DDR-Behörden durchbrach.
Der spektakuläre Rausschmiss Biermanns gilt vielen Historikern als Anfang vom langen Ende der DDR. Menschen, die gegen seine Ausbürgerung protestierten, kamen ins Gefängnis, bekannte Intellektuelle verfassten Protestschreiben oder verließen mehr oder weniger freiwillig das Land Richtung Westen. Wolf Biermann ging nach Hamburg, wo er bis heute lebt. Sein Haus ist zwar keine „Luxusvilla“, wie die „Bild“-Zeitung kurz nach seiner Ausbürgerung schäumte, aber doch einigermaßen nobel gelegen.
„Der Wolf gehört nach Hamburg, der Biermann nach Berlin“, bringt es der Künstler selbst auf den Punkt: „Am Ende ist es egal: Meine Heimat bin ich mir selber.“ Noch im Spätherbst 1989 verhinderten die SED-Behörden einen Auftritt und damit quasi die Heimkehr des Liedermachers nach Ost-Berlin. Und fast zwei Jahrzehnte später tat sich der rot-rot geführte Senat noch erstaunlich schwer, ihm die Ehrenbürgerwürde zuzuerkennen. Auch die Berliner Humboldt-Universität ließ sich bis 2008 Zeit, Biermann das 45 Jahre zuvor verweigerte Philosophie-Diplom zu verleihen. Sowohl im Zwist um seine Ehrenbürgerschaft wie auch sonst hatte Biermann mit seinen oft umstrittenen politischen Ansichten nicht hinterm Berg gehalten.
Befürworter des Golfkriegs
Als er 1991 den Golfkrieg verteidigte, habe er „die Hälfte seines Publikums“ verloren, sagt er heute. Genauso verhielt es sich beim Irakkrieg von 2003, den er bis heute für richtig hält. Umso überraschender war Biermanns öffentliches Schweigen zu Vorwürfen, seine Ausbürgerung sei auf sein Betreiben erfolgt und mit Margot Honecker höchstpersönlich besprochen worden. Der Künstler bestreitet beides ganz entschieden und spricht von einer „Stasi- und PDS-Lüge“. Zu denen, die diese Behauptungen verbreiten, gehört der Sohn seines Freundes Robert Havemann. Als dieser andere „Staatsfeind“ der DDR 1982 im Sterben lag, durfte Biermann nochmals für einen Tag nach Ost-Berlin einreisen.
Florian Havemann, der als 16-Jähriger in der DDR wegen seines Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings in Haft kam und danach in den Westen floh, hat mit Biermann noch eine Rechnung offen. Denn der schrieb ihm 1969 ein gehässiges Lied hinterher. „Er ist hinüber, enfant perdu / Ach kluge Kinder sterben früh“, heißt es im Refrain, der mit den Worten schließt: „Abgang ist überall.“
Keinesfalls eine Lüge ist, dass sich Margot Honecker und Wolf Biermann gut kennen. Als dieser sechs Jahre alt war und vom KZ-Tod seines Vaters erfahren hatte, tauchte plötzlich das damals 17-jährige Mädchen bei seiner Familie in Begleitung eines kommunistischen Funktionärs auf. Später, 1963, bat ausgerechnet Biermanns Mutter die gerade frisch gekürte DDR-Volksbildungsministerin, dafür zu sorgen, dass ihr Sohn „dem Klassenfeind nicht ins Netz gehe“. Mehrere Male habe er daraufhin bei Margot Honecker im Büro gesessen, erzählt Biermann: „Nur leider war ich zwischenzeitlich etwas älter und klüger geworden, dass wir uns nicht einigen konnten.“
Zwei Jahre später, als Biermanns „Deutschland – ein Wintermärchen“ im Westen erschien, sei es dann zum endgültigen Bruch gekommen. Da habe Margot Honecker ihn sogar in seiner Wohnung aufgesucht. „Sie redete mir ins Gewissen“, erinnert er sich, weil sie gewusst habe: „Der kleine sympathische Wolf Biermann von 1943 steht nun zehn Zentimeter vor dem Abgrund des Verrats.“ Das aber sei definitiv das letzte Zusammentreffen gewesen.