Da wird der Baumarkt zum Musikalienhandel: Thomas „Tom“ Fink klemmt eine handelsübliche Säge – einen sogenannten Fuchsschwanz – zwischen die Knie, biegt sie mit der linken Hand durch, streicht mit einem Geigenbogen drüber, und schon erklingt der unverwechselbare Sound einer Singenden Säge. Freilich genügt das Schreinerwerkzeug nicht den Ansprüchen des 43-Jährigen: „So ein Fuchsschwanz hat einen Tonumfang von höchstens eineinhalb Oktaven“, erklärt der Mann aus Niederstetten im Main-Tauber-Kreis.
Fink hat ein ganzes Bündel an Sägen. Die Blätter haben verschiedene Längen, verschiedene Formen, verschiedene Dicken. Mit dem Baumarkt-Werkzeug haben sie fast nur das Material gemein: Stahl. Fink greift zu einer Konzertsäge, wischt mit dem Hemdsärmel das Öl von der Kante – es schützt vor Rost –, setzt wieder den Bogen an, lässt Tonleitern auf- und absteigen. „So eine Konzertsäge hat dreienhalb bis vier Oktaven drauf“, sagt er. Zudem ist der Ton runder als beim Fuchsschwanz. Damit kann ein Musiker schon was anfangen. Fink hat mit Jazzcombos gearbeitet und spielt – bei Auftritten seriös in Frack und Fliege – gerne Klassik: „Mozart, Puccini, Verdi zum Beispiel.“
Zahnlos klingt besser
Dann legt er mit Giuseppe Verdis „Brindisi“ los. Begleiten lässt er sich von einem Klavier, das als Playback aus einem Lautsprecher kommt. Das berühmte Trinklied aus der Oper „La Traviata“ sei eine Herausforderung für die Singende Säge, erklärt der Musiker. Schon gleich zu Beginn springt die Melodie weit nach oben. Derart große Intervalle sind nicht die Stärke der Säge. Doch Tom Fink biegt das Blatt schnell, heftig und präzise – und der Ton schwingt erstaunlich exakt nach oben. Verschiedene Tonhöhen erzeugt Tom Fink, indem er den Bogen an den unterschiedlichen Punkten des Sägeblattes ansetzt. An breiteren Stellen sitzen die tieferen Töne, an den schlanken die höheren.
Auch die Spannung, die am Stahl anliegt, beeinflusst die Tonhöhe: Je stärker der Spieler die Säge biegt, desto höher klingt's. Dabei ist es wichtig, dass das Blatt S-förmig gebogen wird. Auch muss der Bogen in einem bestimmten Winkel angesetzt werden. Anfänger, die all das nicht draufhaben, erzeugen bestenfalls ein schräges Kratzen.
Die Genauigkeit, mit der Fink die Töne trifft, braucht Übung und Erfahrung. Seit acht Jahren beschäftigt sich der Multiinstrumentalist – er spielt auch Schlagzeug, Irish Flute, Mandoline, Dulcimer, Konzertina und andere Exoten – mit der Singenden Säge. Er war im Internet auf das Instrument aufmerksam geworden, an dem er den „sphärischen Klang“ liebt und die Nähe zur menschlichen Stimme. Der für den Sägen-Sound typische Glissando-Effekt – die Töne gleiten ineinander – macht es schwer, schnelle Stücke zu spielen: Da besteht die Gefahr, dass die Töne verschwimmen und die Melodie unkenntlich wird. „Rimski-Korsakows ,Hummelflug‘ ist definitiv eine Grenze“, sagt Fink, überlegt und schiebt nach: „Eigentlich geht das überhaupt nicht mehr.“ Schon fürs flotte „Brindisi“ (Verdi fordert „Allegretto“) braucht's einen Könner wie Fink, der 2011 bei der Weltmeisterschaft in Polen Dritter wurde. Erste wurde damals Finks Lebensgefährtin Gladys Hulot, mit der er das Duo „Lame Sonore“ bildet – die französischen Worte bezeichnen die Konzertsäge.
Das Instrument, mit dem Fink bei „Brindisi“ hantiert, erinnert nur entfernt an das Schreinerwerkzeug. Beide Kanten laufen symmetrisch aufeinander zu, und: Es hat keine Zähne. „Das hat den Vorteil, dass sich der Spieler nicht dran verletzen kann – ist mir schon passiert. Vor allem aber greift das Herausstanzen der Zähne das Gefüge des Stahls an, was Auswirkungen auf den Klang hat“, erklärt der Musiker. Konzertsägen mit Zähnen gibt es aber auch. Doch selbst wenn sie spitz und messerscharf sind, „sägen könnten Sie damit nicht. Das Blatt bliebe im Holz stecken, weil die Zähne nicht geschränkt, also nicht nach links und rechts versetzt sind wie bei einer richtigen Säge“, erklärt der gelernte Industriemechaniker.
Als Bogen taugt jeder Geigen-, Cello-, oder Kontrabassbogen. „Man kann die Säge such mit Klöppeln spielen“, so Fink. Er bevorzugt jedoch den Bogen, von dem er etwa zwei Drittel der Rosshaare entfernt. Dann spricht der Sägenstahl besser an. Eine Konzertsäge kostet ab 90 bis über 400 Euro. Und zur Not tut's eben auch der billige Baumarkt-Fuchsschwanz. Damit ist der Spieler immerhin nahe dran an den Ursprüngen. Denn erfunden haben das Sägenspiel im 19. Jahrhundert wohl Holzarbeiter in Nordamerika oder Skandinavien.