Ich gebe es zu: Ich habe geweint. Dieser Schuft Rollins aber auch, macht meinen Winnetou tot. Wie lange ich damals als Knabe geweint habe, weiß ich nicht mehr. Von der Grünen-Politikerin Claudia Roth ist überliefert, dass ihr Bett von den Tränen nass und sie tagelang krank gewesen sei in Trauer um Winnetou. Na ja, so schlimm war es bei mir nicht.
Doch dazu muss man wissen, dass Winnetous Fernsehtod und meine Tränen in eine Zeit fielen, in der man als Junge nicht weinen durfte. Das sei was für Mädchen, so die Erziehungsdoktrin damals. Galt auch für mich. So trug ich es als inneres Leiden mit mir herum. Winnetou – er war einfach so edel. Fast zu edel für mich als Kind einer durchschnittlichen, unscheinbaren Arbeiterfamilie. Also verehrte ich ihn eher mit einer undefinierten Distanz. Aber ich verehrte ihn. Weil er Dinge konnte, die für mich unerreichbar schienen. Zum Beispiel, dass er nachts am Lagerfeuer nie schlief.
Immer hatte er mindestens ein waches Auge auf das, was im dunklen Präriegebüsch geschah. Und dann schoss er plötzlich aus dem Augenwinkel heraus so dermaßen gezielt in dieses dunkle Gebüsch, dass die Ganoven dort schon tot waren, bevor sie den Schuss hörten.
So jedenfalls interpretierte ich das, was ich in meinen Karl-May-Büchern las. Jene Bücher mit dunkelgrünem Einband. Sie waren die Fundamente meiner Fantasie. Warum ich sie später auf dem Flohmarkt verkauft habe, verstehe ich heute nicht mehr. Das was leichtsinnig. Und dumm dazu: Für meinen Sohn musste ich später diese dunkelgrünen Bücher alle wieder mühsam kaufen. Apropos Winnetou und Fantasie: Die Fantasie lebte ich gerne unterm Tisch meines Kinderzimmers aus. Ich zog die Tischdecke immer so weit herunter, bis eine Art Wigwam entstand. Drinnen rauchte ich imaginäre Friedenspfeifen oder schoss nach draußen auf ebenso imaginäre Schurken. Manchmal durfte ich als Indianer auch unterm Tisch übernachten. Bett? Nur was für Greenhorns.
Ist doch sonnenklar, dass ich im Fasching oft Indianer war. Manchmal Winnetou. Überhaupt der Wilde Westen: Wenn mir meine Eltern auf die Nerven gingen, war ich mir sicher, dass ich bald genau dorthin auswandern würde – in den Wilden Westen. Wechselweise zu Bonanza oder zur Shiloh Ranch. Weniger zu Winnetou: Der war mir dafür dann doch zu edel.