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Wie eine blinde Sängerin die Welt sieht

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Wie eine blinde Sängerin die Welt sieht

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    "Mit acht wollte ich noch Rennfahrerin werden": Joana Zimmer, seit Geburt blind.
    "Mit acht wollte ich noch Rennfahrerin werden": Joana Zimmer, seit Geburt blind. Foto: FOTO UNIVERSAL

    Wie stellt sich ein von Geburt an blinder Mensch die Welt vor? Welche Beziehung hat er zu seinem Körper? Wie fühlt es sich überhaupt an, blind zu sein? Ein Gespräch mit der von Geburt an blinden Sängerin Joana Zimmer übers Blindsein und ein Schlüsselerlebnis.

    FRAGE: Sie sind von Geburt an blind. Ab wann haben Sie realisiert, dass Ihnen einer der fünf Sinne fehlt?

    JOANA ZIMMER: Am Anfang denkt man, das wäre ganz normal, weil man es ja nicht anders kennt. Ich muss aber dazu sagen, dass ich sehr autonom und selbstständig erzogen worden bin. Meine Eltern haben mich behandelt wie ein ganz normales, gesundes Kind. So richtig realisiert habe ich die Blindheit erst im Teenageralter, weil man da ja irgendwie auch befangener wird und sich mehr Gedanken über sich und sein Leben macht. Mit acht wollte ich noch Rennfahrerin werden (lacht).

    Wie hat sich die Blindheit auf Ihre Schulzeit ausgewirkt?

    ZIMMER: Ach, das war gar nicht so schwierig! Es gibt ja heutzutage sehr viele integrative Schulen, wo du als blinder Mensch dann Hilfsmittel zur Verfügung hast, also mit den anderen Kindern zusammen ganz normal am Unterricht teilnehmen kannst. Ich wurde auch nie gehänselt oder so. Meine Blindheit hat in der Schule nie zu Problemen geführt.

    Wie fühlt es sich an, blind zu sein?

    ZIMMER: Das kann ich gar nicht so genau beschreiben. Blindsein ist für mich ein ganz normaler Zustand. Ich kannte das ja nie anders. Ich bin ja auch nicht komplett blind, sondern kann hell und dunkel sehr gut voneinander unterscheiden. Daran orientiere ich mich.

    Inwiefern verstärken sich durch die Blindheit die restlichen Sinne, beispielsweise das Gehör oder der Geruchssinn?

    ZIMMER: Du benutzt deine anderen Sinne viel bewusster, denn die müssen dein fehlendes Augenlicht irgendwie ersetzen. Im Straßenverkehr muss ich meine Ohren ganz besonders spitzen, um mich zu orientieren. Du lernst mit deinen Sinnen umzugehen, sie einzusetzen, um dich zu orientieren. Das Gehör spielt da eine ganz zentrale Rolle, gerade auch für meine Musik.

    Welche Beziehung haben Sie zu Ihrem Körper, Sie haben ihn noch nie gesehen?

    ZIMMER: Ich mache viel Sport und bin relativ durchtrainiert. Ich beschäftige mich einfach viel mit meinem Körper, achte auf Pflege und Styling, Klamotten und so. Es gibt ja Leute, die sich im Spiegel sehen und sich trotzdem nicht beurteilen können. Ich bin blind und kann das trotzdem. Auch wenn ich es niemals sehen kann, ist mir mein äußeres Erscheinungsbild schon sehr wichtig.

    Welche Vorstellung von der Welt existiert in Ihrem Kopf? Wie stellen Sie sich die Natur, die Menschen, die Tiere vor?

    ZIMMER: Ich habe viele Bilder von der Welt im Kopf. Ich versuche, mir durch Gerüche, das Ertasten von Gegenständen, durch Geräusche ein Bild von der Welt zu machen. Es gibt so viel zu entdecken. Das ist sehr spannend. Dieses Bild versuche ich dann auch in meinen Songs und in Interviews auszudrücken, aber ich schreibe auch sehr viel einfach nur für mich privat auf. Eine weitere Ausdrucksmöglichkeit finde ich in der Schauspielerei, was ich in nächster Zeit auch weiter verfolgen möchte und ja vereinzelt auch schon gemacht habe. Ich denke mich einfach gerne in Rollen und Stücke hinein und versuche, den Menschen, vor allem natürlich durch meine Musik, eine Geschichte zu erzählen.

    Sie gehen heute, im Alter von 23 Jahren, sehr offen und direkt auf Menschen zu, strahlen Selbstbewusstsein aus. Das war sicher nicht immer so, gab es in Ihrem Leben auch Momente, wo Sie in eine Art schwarzes Loch gefallen sind?

    ZIMMER: Mein Handicap hat eigentlich gar nicht so viel mit meinem Gesang oder meiner Karriere zu tun. Das ist ein ganz persönliches Ding, dass ich halt oft ein bisschen mehr Kraft für Orientierung aufbringen muss, aber für meine Fans spielt das glaube ich gar nicht so eine große Rolle. Ich verkaufe dadurch auch nicht mehr Platten. Ich bin an meiner Blindheit nie verzweifelt, sondern bin meinen Weg immer weiter geradeaus gegangen. Dieser Weg zu dem Punkt, an dem ich heute stehe, war sehr lang und oft auch sehr steinig, aber ich wollte schon sehr früh Sängerin werden. Meine Blindheit konnte mich von diesem Traum nie abhalten!

    Viele blinde Menschen erzählen, dass sie sich durch hilfsbereite Passanten auf der Straße oft bevormundet fühlen. Wie gehen Sie damit um?

    ZIMMER: Ich versuche, damit immer sehr offen und freundlich umzugehen, weil die meisten Menschen es ja auch nur gut mit dir meinen, dir einfach helfen wollen. Ich glaube, es ist nicht richtig, diesen Menschen vor den Kopf zu stoßen, denn manchmal wünscht man sich Hilfe, und dann ist keiner da.

    Wie meistern Sie Ihren Alltag? Sie haben mal erzählt, dass Sie keinen Blindenhund haben . . .

    ZIMMER: Nee, der würde nur leiden in all den Hotels und Flugzeugen. Ich bin ständig unterwegs und sehr selten zu Hause. Als Künstler reist du ja nicht alleine, sondern hast immer Manager und Leute von der Plattenfirma, die dich begleiten. Aber hinter der Hotelzimmertür fängt auch mein Privatleben an, da komme ich auch alleine mit allem zurecht.

    Gehen Sie auch ins Internet?

    ZIMMER: Ja, ich habe einen Laptop mit Sprachausgabe und lasse mir dann halt die Websites vorlesen. Erst neulich habe ich meine Weihnachtsgeschenke über das Internet bestellt (lacht). Das ist gar kein Problem!

    Sie waren acht Jahre alt, als Sie Barbra Streisand auf dem Soundtrack zum Film "Yentl" gehört haben, es soll der Beginn Ihrer großen Leidenschaft für die Musik gewesen sein. Können Sie diesen Moment beschreiben?

    ZIMMER: Das war unglaublich! Ich habe gedacht: Das gibt's gar nicht! Ich war so beeindruckt von dieser kraftvollen Art zu singen, ohne dabei angestrengt zu klingen. Ich habe diesen Song zigmal gehört und konnte gar nicht mehr einschlafen, weil mich das so bewegt hat. Das war so ein Schlüsselerlebnis! In diesem Moment wusste ich, dass ich mich auch auf diese Art ausdrücken möchte und den Menschen was geben will.

    Wie haben Ihre Eltern reagiert, als Sie ihnen von diesem Entschluss erzählt haben?

    ZIMMER: Ich habe mich ja nicht hingestellt und gesagt: "Ach übrigens, ich werde jetzt Sängerin!" Dieser Entschluss ist in mir gewachsen. Ich habe auch schon als Kind total gerne und viel gesungen, und das haben die immer schon mitbekommen. Sie verstehen diesen Drang in mir und haben immer gesagt, wenn ich diesen Weg wirklich gehen will, dann muss ich das alleine durchziehen. Das habe ich dann gemacht.

    Zur Person

    Joana Zimmer
    Die deutsche Sängerin, geboren
    am 27. Oktober 1981 in Freiburg,
    trat schon mit 15 Jahren in diver-
    sen Jazzclubs in Berlin auf. Im Früh-
    jahr 2005 kam mit "I believe (Give
    a little bit)" ihre Debütsingle he-
    raus, mit der sie in mehreren Län-
    dern in den Hitparaden landete.
    Soeben ist mit "The Voice in me"
    (Universal) ihr neues Album er-
    schienen.

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