Wim Wenders ist einer der renommiertesten deutschsprachigen Filmregisseure. International bekannt wurde der am 14. August 1945 in Düsseldorf geborene Künstler durch den Spielfilm „Paris Texas“ (1984). Weitere bekannte Filme sind „Der Himmel über Berlin“ (1987) und „Bis ans Ende der Welt“ (1991). Wenders dreht immer wieder auch Dokus („Buena Vista Social Club“). Seine jüngste, „Papst Franziskus – ein Mann seines Wortes“, kommt an diesem Donnerstag in die Kinos. Am Samstag (16 Uhr) spricht Wenders im Würzburger Central-Kino mit Bischof Franz Jung über seinen Papstfilm. Auf Wunsch von Wim Wenders wurde das Interview schriftlich geführt.
Frage: Laut „Katholischer Nachrichtenagentur“ zeigen Sie Franziskus als „Hoffnungsträger für Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung in einer aus den Fugen geratenen Welt“. Trauen Sie diesem Papst tatsächlich die Bewältigung einer derart riesigen Aufgabe zu?
Wim Wenders: Nicht mehr und nicht weniger. Die ganze Welt hat gerade ihren moralischen Kompass verloren, und da sehe ich weit und breit keinen anderen, der glaubwürdig zeigt, wo es langgehen könnte. Papst Franziskus wird viel Vertrauen entgegengebracht, vielleicht im Rest der Welt noch mehr als in der eigenen Kirche, wo er ja bei vielen konservativen Kräften umstritten ist. Er lebt, was er vertritt, und genau das ist auch notwendig, um etwas zu verändern. Aber vielleicht braucht es tatsächlich mehr als einen Papst, um seine Ideen tief genug in dieser Institution zu verankern, oder diese eben immer wieder an ihren Ausgangspunkt zu erinnern: die Evangelien.
Können Religionen generell zur Lösung von Problemen beitragen – oder sind sie nicht vielmehr Ursache vieler Probleme?
Wenders: Man muss unterscheiden, hier zum Beispiel zwischen Glauben oder Spiritualität, und den Institutionen, die sich diese zu eigen machen. Jede Organisation hält sich schnell für wichtiger als die Sache, die sie vertritt, das haben sämtliche Strukturen in der ganzen Welt so an sich. Vergessen Sie nicht, dass Christus aufgetreten ist in radikaler Opposition gegen die Rechtsgelehrten und Vertreter der Kirche damals. Und dass es nur ein paar hundert Jahre her sind, dass Menschen auch im Namen unserer (katholischen sowie evangelischen) Kirchen gefoltert und verbrannt wurden. Gläubige dürfen (oder müssen) sich also der Kirche und der Institution kritisch gegenüber verhalten. Dazu werden sie auch von keinem Geringeren als dem Apostel Paulus aufgefordert. Auf der anderen Seite ist unsere ganze abendländische Kultur auf unserem christlichen Glauben aufgebaut, und selbst die Maximen der Französischen Revolution „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ sind im völligen Einklang mit dem Evangelium. Zu nichts anderem ruft uns Papst Franziskus auf: es damit ernster zu meinen. Mit unserem Mitgefühl, mit unserem Willen, zu teilen, mit unserem Bewusstsein, dass alle Menschen gleich sind.
Die Idee zu dem Film kam angeblich aus dem Vatikan, der „Spiegel“ bezeichnet „Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ als „Meisterstück der PR-Kunst“. Wie sehen Sie das?
Wenders: Gelassen. Wissen Sie, es gibt zu jedem Film auch einen, den sich jemand anderer wünscht. Der „Spiegel“ hätte sicherlich lieber einen investigativen Film über den Vatikan gesehen. Ich hab mir gedacht: Warum soll ich die Leute mit meiner „kritischen Distanz“ nerven, wenn ich stattdessen diesen Mann selbst zu Worte kommen lassen kann! Ich mache keine Filme, um an etwas rumzumäkeln. sondern um etwas, was mich begeistert, mit anderen zu teilen. In „Buena Vista Social Club“ hätte ich auch viel an Kuba und dem Regime herumkritisieren können, stattdessen habe ich diesen großartigen alten Männern und ihrer ansteckenden Musik die ganze Bühne überlassen. Und jetzt hatte ich also schon mal dieses Wahnsinnsprivileg, Papst Franziskus stundenlang Auge in Auge gegenübersitzen zu dürfen, also habe ich genau das an die Zuschauer weitergegeben: Er schaut jetzt jedem in die Augen! Und kann Sie mit seiner optimistischen Herzlichkeit berühren. Statt dass Sie sich eine „Meinung“ über ihn anhören müssen. Ehrlich: was ist da produktiver? „Betroffenheit“ ist ja in unserer zunehmend zynischen Welt in Verruf geraten. Aber man sieht diesem Papst an, wie ihn das Leid anderer „trifft“. Trotzdem bleibt er optimistisch und furchtlos. Das ist eine Lehre, die jeder aus diesem Film ziehen kann: dass man weniger Angst haben muss, ob man alles richtig macht, solange man sich an ein paar Dinge halten kann.
Geht es Ihnen darum, Franziskus‘ Botschaft zu verbreiten?
Wenders: Nicht ich, um Himmels willen, er selbst soll sie verbreiten und sich an die Menschen direkt wenden. Ja, darum ging es mir. Gereizt hat mich vor allem, dass der Papst ein Mann ist, der vorlebt, was er predigt. Zum Beispiel, dass man mit weniger auskommen kann. Also habe ich auch einen Film gemacht, der mit weniger auskommt. Der Papst ist auch nicht eitel, es geht ihm nicht um seine Person, im Gegenteil, er versucht immer klarzustellen, dass alle Menschen wirklich gleich sind. Also kam auch kein „biografischer Film“ infrage. Diese ganze „People-Kultur“ geht mir eh auf den Docht. Ich habe zugesagt, als klar wurde, dass dies keine Auftragsproduktion des Vatikans werden sollte und auch nicht vom Vatikan finanziert würde. Das wäre ja a priori nicht glaubwürdig gewesen. Und darauf hätte ich mich auch nicht eingelassen.
Ist seine Botschaft anders als die seiner Vorgänger? Ist Franziskus in Ihren Augen ein ganz besonderer Papst?
Wenders: Durchaus! Wie Sie auch, wie Millionen von uns, hab auch ich Papst Franziskus am Tag seiner Wahl zum ersten Mal gesehen, im Fernsehen, auf dem Balkon des Petersdomes. Noch bevor man ihn als Person sah, wurde auf lateinisch verlesen, dass der neue Papst den Namen Franziskus angenommen hätte (da haben sich meine neun Jahre Latein endlich mal ausgezahlt). Ich war von den Socken. Das hatte sich noch kein Papst vorher getraut, den Namen des heiligen Franz von Assisi anzunehmen, immerhin einer der größten Reformer der Kirche, und ein echter Revolutionär in der Geschichte der Menschheit. Noch bevor ich also Papst Franziskus zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich schon: „Dieser Mann hat Mut! Wenn er sich diesen Namen zutraut, können wir einiges erwarten.“ Franz von Assisi war für mich schon als Junge ein echter Held, der einzige Heilige, von dem ich wirklich etwas wusste. Der hatte nicht nur mit den Tieren geredet, der hatte uns überhaupt zu einer kompletten Revision unseres Verhältnisses zur Natur und unserem Planeten aufgefordert, „unserem gemeinsamen Haus“, wie Papst Franziskus es heute nennt. Und nichts wäre in unserer Zeit notwendiger! Der heilige Franz hat sich radikal auf Arme und Ausgestoßene eingelassen. Auch in dieser Hinsicht gab es von dem neuen Papst also viel zu erwarten.
Sie sind katholisch aufgewachsen, mittlerweile aber Protestant. Was können Sie persönlich mit der Idee eines „Stellvertreters Gottes auf Erden“ anfangen?
Wenders: Nun, ich weiß, dass sich das von Christus ableitet und dass er Petrus gesagt hat: Du bist der Fels, auf den ich meine Kirche bauen will. Aber ich habe Papst Franziskus auch umgekehrt als Stellvertreter der Menschheit erlebt. Jedes Mal, wenn er sich nach den Gesprächen von uns verabschiedet hat, von jedem Einzelnen im Team persönlich, sagte er am Ende: „Betet für mich.“ Also, als Stellvertreter Gottes hat er sich nicht gegeben. Für ihn ist jeder Mensch gleich, und er tut sein Bestes, das in seiner Haltung auch zu leben. Und er tritt furchtlos, offen und menschlich geradeheraus auf.