- Wer ist der Autor? Ernst Jandl (1925-2000) war ein Wiener Dichter, der zeitlebens mit der deutschen Sprache gespielt, gearbeitet, gerungen hat. Seine Gedichte und Stücke sind witzig, drastisch, skurril, entlarvend und immer zutiefst musikalisch.
- Was ist das für ein Stück? "Calypso" in der Blauen Halle des Mainfranken Theaters ist eine Collage aus Theaterstücken und Gedichten, die eine Rahmenhandlung ergeben für komische, turbulente aber auch intime Szenen. Und ein fast schon trotziges Plädoyer für die freie künstlerische Rede.
- Lohnt der Besuch? Das Stück ist für alle interessant, die neugierig sind, was man mit der deutschen Sprache alles anstellen kann. Jandls Buchstaben-, Silben-, Laut- und Wortverdrehungen sind albern bis wild, zärtlich bis giftig. Und immer frappierend schlüssig.
Ein Arbeits- und Wohnzimmer, Bücherregale bis zur Decke, alles in Schwarz/Weiß (Bühne: Catharina Gormanns). Nur der Tisch in der Mitte, des Dichters geliebter Tisch, ist aus warmem Holz. Der Raum ist Startrampe und Gefängnis zugleich. Hier stellt sich Ernst Jandl immer und immer wieder dem weißen Blatt Papier. Hier scheitert er, und hier hebt er ab, sobald ihm eine Zeile gelingt, die dem ersten Impuls standhält, das Blatt gleich wieder zu zerknüllen.

Regisseur Markus Trabusch und Dramaturgin Barbara Bily haben Ausschnitte aus Ernst Jandls Stücken "Aus der Fremde" und "die humanisten" und einige seiner Gedichte zur eindreiviertelstündigen, pausenlosen Sprechoper "Calypso" montiert, die am Samstag in der Blauen Halle des Mainfranken Theaters Premiere hatte. Darin materialisieren sich Jandls Wortgeschöpfe, sobald dessen (Selbst-)Kontrolle nachlässt. Aus der Schreibmaschine in die sichtbare Welt hinaus.
Der Schlaf des Dichters gebiert Fabelwesen
Angelehnt an Goyas "Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer" könnte man sagen: Der Schlaf des Dichters gebiert Fabelwesen. Es sind bunte, groteske, prachtvolle und anrührende Geschöpfe, für die Pascal Seibicke atemberaubende Kostüme geschaffen hat. Was übrigens durchaus nicht nur in laute Szenen mündet. Das Gedicht "Eulen" etwa ("will aber nicht mehr eulen sein / bin schon zu lang eulen gewesen") ist von anrührender Intimität.

Hannes Berg spielt in senffarben kariertem Anzug und Hornbrille hinreißend authentisch den mürrischen, grüblerischen, unsicheren Dichter, der sich so sehr an seinen Schöpfungen berauschen kann, dass er schonmal das titelgebende Gedicht "Calypso" ("ich was not yet / in brasilien / nach brasilien / wuld ich laik du go") in bester Harry-Belafonte-Manier rausschmettert. Und der seiner Lebensgefährtin Friederike Mayröcker (Nina Mohr) in ängstlicher Erwartung die neuesten Verse vorlegt.
Jandls Witz scheint keine Sichtbarmachung zu brauchen, aber hier funktioniert sie
Jandls Witz wurzelt in der Sprache selbst und scheint eigentlich keine Sichtbarmachung zu brauchen. Aber hier funktioniert sie. Weil Trabusch und Seibicke sich trauen, die eigene Fantasie von der Leine zu lassen. Da wuselt dann also das Ensemble in grellbunten Stoff-, Plüsch- und Boa-Schöpfungen über die Bühne. Da werden Julia Baukus, Jojo Rösler und Pippa Fee Rupperti in vielarmigen Oktopus-Anzügen zum antiken Chor. Da irrlichtert Anselm Müllerschön als schrille Stimme der Außenwelt durch Jandls Wortwerkstatt. Da überbieten Nils van der Horst und Georg Zeies einander auf aberwitzig hohen Plateausohlen in ihrer vorgeblichen Liebe zur deutschen Muttersprache.
Sie stecken in riesigen Kopfattrappen , die um ihre Leibesmitte aufgehängt sind, und versteigen sich in immer groteskere sprachliche Entstellungen. Das ist saukomisch und sehr sarkastisch. Die Botschaft ist unüberhörbar. Es sind diejenigen, die sich am lautesten als Hüter der Sprache aufspielen, die sie am meisten verhunzen: "ich und du sein ein nobel preisen".

Trabusch hat zuvor Eugen Gomringers Gedicht "Avenidas", das 2018 in Berlin wegen angeblichem Sexismus übermalt wurde, mit Jandl-Stellen konstrastiert, die weitaus expliziter interpretiert werden können. Jojo Röslers genüsslich scheinheilige (Um-)Deutung eines Rosenmunds zum Scheunentor, das zu klein für eine Wagenladung Heu ist, spricht Bände. Und dann ist da noch Goethe, der Dichterfürst schlechthin, der sich mehr als einmal mit dem Brechen einer Blume befasst - einem uralten Symbol für Entjungferung.
Die Botschaft hier? Kunst ist eben nicht immer korrekt. Sie ist vor allem frei. Und das sollte sie auch bleiben. "Calypso" wäre damit das richtige Stück zur richtigen Zeit. Das Publikum ist hörbar amüsiert und möglicherweise überrascht, als Hannes Berg schon nach kurzweiligen 105 Minuten den Mummenschanz mit einem energischen "Schlutz!" beendet.
Weitere Vorstellungen: 16., 24. Mai; 9., 25., 28. Juni; 1., 8., 22. Juli. Karten unter Tel. (0931) 3908-124 oder karten@mainfrankentheater.de