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WÜRZBURG: Worte für das Sterben - Was Redensarten bedeuten

WÜRZBURG

Worte für das Sterben - Was Redensarten bedeuten

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    „Die Todesstunde“: Das Bild aus dem 18. Jahrhundert illustriert gut den historischen Umgang mit Tod und Sterben.
    „Die Todesstunde“: Das Bild aus dem 18. Jahrhundert illustriert gut den historischen Umgang mit Tod und Sterben. Foto: Foto: dpa

    Der Mensch mag es beim Reden blumig, selbst wenn es ums Sterben geht. Wenn jemand „abkratzt“, klingt das nicht gerade nach einem friedlichen Tod, sondern eher so, als winde sich jemand stöhnend und jammernd in seinem Blut – oder was sonst dabei an unappetitlichen Gedanken aufkommt. Doch der Ursprung der Redensart ist ein ganz anderer: Wenn sich ein männlicher Besucher niederen Ranges früher bei Hofe von einem Fürsten im Rückwärtsgang verabschiedete, machte er zunächst demutsvoll einen Kratzfuß, indem er einen Fuß in weitem Bogen hinter den anderen zog und dabei leicht über den Boden scharren ließ. Diese Form des unterwürfigen Abgangs mit Kratzgeräusch lieferte die Vorlage für die derbe Redensart.

    Verglichen damit mutet ein Tod viel friedlicher an, wenn ein Mensch verbleicht, was die fahle, weil blutleere Haut des Verblichenen treffend beschreibt. Dieser Ausdruck gehört in die Reihe verbrämender Begriffe, mit denen das Sterben etwas von seinem Schrecken verlieren soll. Denselben Zweck erfüllen Verben wie dahinscheiden, von uns gehen, im Krieg fallen oder die letzte Reise antreten, in den Himmel oder über den Jordan – ein Flussübertritt, der für die Israeliten des Alten Testaments quasi der Einzug in ein jenseitiges Paradies war. Auch wer sich die „Radieschen von unten ansieht“, ist längst mausetot.

    Warum aber umschreiben wir das unausweichliche Sterben mit beschönigenden Wörtern wie entschlafen oder lassen einen Toten „vor seinen Schöpfer“ treten? „Wir brauchen eine Waffe gegen unsere Angst, und Humor ist ganz allgemein eine solche Waffe“, sagt Dagmar Schmauks vom Institut für Sprache und Kommunikation der Technischen Universität (TU) Berlin. Insbesondere gelte das für „Galgenhumor, um den es sich hier ja handelt“.

    Distanz zum drohenden Tod

    Dass der Mensch als todesbewusstes Lebewesen dem unausweichlichen Sterben wenigstens etwas trotzen möchte, liegt auf der Hand. Und die Sprache, die uns mit anderen Menschen im Leben verbindet, ist dafür wie geschaffen, denn über ein gemeinsames Schicksal gemeinsam frotzeln und lachen zu können, hat etwas Tröstliches.

    Makabre oder zumindest sehr deftige Redensarten für das gefürchtete Sterben zu verwenden, verschafft uns demnach das Gefühl, uns vom drohenden Tod distanzieren zu können. „Es geht uns dabei um die Illusion einer souveränen Gegenwehr“, sagt Schmauks, die sich an der Arbeitsstelle für Semiotik der TU Berlin seit vielen Jahren mit Redewendungen verschiedenster Art beschäftigt.

    Die Angst vor dem Sterben wächst eher noch in einer Zeit, in der mit absurd erscheinendem Aufwand der Körper gestylt und das Altern hinausgezögert und kaschiert werden. Gleichzeitig erfahren immer weniger junge Menschen hautnah, wie ein naher Mensch womöglich „verröchelt“, nachdem der Tod ihm kurz zuvor „seine Visitenkarte überlassen“ hat, um noch zwei Ausdrücke aus Schmauks umfangreicher Liste anzuführen. „Die jungen Studierenden haben mit Anfang 20 oft noch keinen Toten oder Sterbenden leibhaftig vor sich gesehen“, sagt die Sprachwissenschaftlerin aus eigener Erfahrung an der TU Berlin. „Die Alten sterben im Hospiz, im Altenheim oder in der Klinik, aber kaum noch zu Hause.“ Und niemand wird mehr zum ausgiebigen Abschiednehmen tagelang zu Hause aufgebahrt. Der Tod hat heutzutage also immer weniger mit den noch Lebenden zu tun, außer im Fernsehen, im Internet oder in Büchern und Zeitungen.

    Einen weiteren, durchaus beachtlichen Vorzug haben die Redensarten vom Sterben: Sie überliefern eine Menge Wissen über die Lebensumstände unserer Vorfahren. So gingen die Angehörigen einiger nordamerikanischer Indianervölker in die ewigen Jagdgründe ein, was noch immer verrät, was das Paradies angeblich für sie bereithielt: Wildbret im Überfluss und deshalb keinerlei Angst zu verhungern.

    Arme europäische Bauern hingegen mussten früher beim Sterben „den Löffel abgeben“ oder fallenlassen. Das lenkt bis heute unseren Blick auf die damals übliche Nahrungsaufnahme der ganzen Familie am Esstisch. Holzlöffel waren wertvoll, und jedes Mitglied der Familie hatte seinen eigenen, mit dem es zeitlebens das auslöffeln musste, was die Bäuerin oder Magd am Herdfeuer zubereitet hatte. In manchen Holztischen waren Mulden, in welche Suppe oder Brei gegossen wurde, so dass alle hungrigen Esser aus der Kuhle ihren Anteil schöpfen konnten. Im Schwarzwald blieb der Löffel auch nach dem Tod symbolisch dem Verstorbenen vorbehalten und wurde „an die Wand gehängt“. Anders als in Mecklenburg, wo die Wendung „De hät den Lepel an de Wand steken“ ihren Ursprung hat, wie Lutz Röhrichs „Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten“ zu entnehmen ist. Auch diese Redensart steht fürs Sterben, doch steckten die Menschen nach jeder Mahlzeit ihren sauber abgeleckten Holzlöffel auch schon zu Lebzeiten ins Löffelbrett an der Wand. Ordnung sollte in der Küche oder Stube schließlich sein.

    Am drastischsten und wohl auch am erfindungsreichsten sind Ausdrücke für das gewaltsame Sterben. Da wird jemand abgemurkst, kaltgemacht, ausgelöscht, aus dem Weg geräumt und abserviert – oder um die Ecke gebracht, was zu tun haben könnte mit einer heute nicht mehr gebräuchlichen Bedeutung des Wortes Ecke als Schneide des Schwertes. Im Nibelungenlied jedenfalls ist noch die Rede von „des swërtes ecke“.

    Wahren Galgenhumor vermittelt die Vorstellung, dass ein unliebsamer Mensch „auf Bodentemperatur abgekühlt“ oder die mit ihm verbundene „Erbschaft beschleunigt“ wird. Und nicht nur Geistliche kann man auf diverse Arten ins Jenseits befördern, in die Nähe ihres Gottes. Allerdings kann ausschließlich der Papst schon kurz nach seinem Hinscheiden eine „Audienz bei seinem Chef“ erhoffen.

    Eines der kulturhistorisch reizvollsten Sprachbilder ist schließlich das vom Lebenslicht, das beim Sterben ausgeblasen wird. In vielen Kulturen ist das menschliche Leben eng verbunden mit der Vorstellung, dass gleichzeitig eine Lampe, Fackel oder Kerze ganz allmählich abbrennt und schließlich verlischt oder umfällt. Im Märchen vom „Gevatter Tod“ brennt in der unterirdischen Höhle des Sensenmannes für jeden Erdenbürger eine Kerze ab, und wenn sie ausgeht, kommt der Tod, um den Betreffenden abzuholen.

    Verbunden mit der stets bedrohten Lebensflamme sind auch die Bräuche, kurz vor der Geburt eines Kindes eine geweihte Kerze zu entzünden und dem Geburtstagskuchen genau so viele Kerzen aufzustecken, wie das Geburtstagskind an Jahren zählt. Mancherorts darf man diese Kerzen unter keinen Umständen auspusten – und schon gar nicht das in der Mitte stehende Lebenslicht; andernorts gehört gerade dies ganz wesentlich zum so beliebten Ritual.

    An den Tod, der mit jedem Tag näher rückt, denkt dabei freilich niemand.

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