Soeben hat Mary Roos bekanntgegeben, dass sie nach Abschluss der aktuellen Tournee "Abenteuer Unvernunft" (am 1. März im Congress Centrum Würzburg) ihre musikalische Karriere beenden wird. Die Sängerin, vor ein paar Wochen 70 Jahre alt geworden, brachte mit neun Jahren ihre erste Platte heraus und hatte 1970 mit "Arizona Man" ihren ersten großen Hit. Seither hat sie Hunderte Lieder gesungen, Theater- und Fernsehrollen gespielt, Kabarett gemacht. Für Aufsehen sorgte jüngst ein Video, das die Künstlerin bei einer spontanen Feier im Zug zeigt – mit Schaffner und weiteren Zufallsbekanntschaften, mit denen sie bis heute Kontakt hält.
Frage: Hatten Sie in letzter Zeit mal wieder eine nette Begegnung im Zug?
Mary Roos: (lacht) Ich habe nicht immer nette Begegnungen im Zug, manchmal nervt's auch. Aber ich habe auch viele gute Erinnerungen an die Bahn, wo sich immer irgendwas Positives mit Menschen ergeben hat.
Es ist aber nicht so, dass jetzt plötzlich alle mit Ihnen in der Bahn feiern wollen?
Roos: Doch! Die Leute fragen schon, wann ich das nächste Mal Zug fahre.
Dass man sich zur Party auf der Strecke München-Hannover trifft, oder so.
Roos: Ja, genau. Ich könnte jetzt bestimmt zehn Geschichten erzählen, die ich mit der Bahn verbinde. Die im Nachhinein auch lustig sind, nicht immer in dem Moment, wo sie passiert sind.
Sie nehmen die Dinge lieber von der lustigen Seite, anstatt gleich sauer zu sein?
Roos: Ja, wenn Katastrophen passieren, dann kommt meine rheinische Mutter durch. Dann versuche ich das mit Humor zu nehmen. Ich finde generell, dass man die Dinge nicht so ernst nehmen sollte. Seitdem ich älter geworden bin, fällt mir das leichter. Das ist definitiv was Positives: Man weiß, was man nicht mehr will.
Was wollen Sie denn nicht mehr?
Roos: Ach, es gibt bestimmte Fernsehsendungen, wo ich sage, nö, da will ich nicht mehr hin. Oder Lieder, die ich nicht singen will. Da gibt es viele Sachen, auch privat.
Sie raten den Menschen, die Ihre Songs lieben, nicht immer so viel nachzudenken und ihrem Gefühl zu trauen.
Roos: Was ist wichtiger, der Kopf oder der Bauch? Für mich war früher der Kopf immer wichtiger. Und heute ist es absolut der Bauch. Viele Entscheidungen treffe ich aus dem Bauch. Und das Ergebnis ist meistens gut.
Sie haben auf dem neuesten Album Ihren allerersten Hit "Arizona Man" wieder drauf, von 1970...
Roos: ...und "Nur die Liebe lässt uns leben" auch.
Schließt sich da ein Kreis?
Roos: Das sind die Songs, die mir so viel Glück gebracht haben, dass ich heute noch da bin. Das ist ein Dankeschön auch an die Menschen, die mich jetzt schon jahrzehntelang begleiten. Ich finde es schön, wenn man seine alten Sachen singt. Wenn man im Konzert immer nur die neuen Sachen macht, sind viele Leute enttäuscht. Weil die Lieder einfach zum Leben dieser Menschen gehören –wie kleine Steine in einem Mosaik. Ich habe ungefähr 400 Lieder gesungen, da hat man große Schwierigkeiten, was rauszusuchen.
Wie sind Sie vorgegangen, um aus dieser Menge eine Auswahl mit rotem Faden zu treffen?
Roos: Ich glaube, ich habe eine ganz gute Balance zwischen Alt und Neu gefunden. "Nur die Liebe lässt uns leben" singe ich zum Beispiel per Videowand mit Mark Forster, der das Lied bei "Sing meinen Song" gemachthat. Wir haben ein neunköpfiges Orchester und zwei Chordamen, es wird auch Erinnerungen geben, Fotos, Filme, da ist auch der Auftritt in der "Muppet Show" dabei.
Es gibt mindestens ein Lied, unter das Leute im Netz schreiben, es habe ihnen das Leben gerettet, in diesem Fall "Aufrecht geh'n". Wie fühlt sich das an?
Roos: Wenn man bedenkt, wie viele Lieder es gibt, und wie wenige davon übrigbleiben, an die sich Menschen erinnern... Das ist ein Lied, das kann man sicher in 20 Jahren noch hören. Es hat viel mit einer Haltung zu tun. Wenn's einem schlecht geht, dann weint man, bricht vielleicht zusammen. Aber man steht auch wieder auf, weil das ja zum Menschsein dazugehört. Dass man weitermacht. Sich weiter interessiert für alles Neue. Sehr viele junge Leute, vor allem Frauen schreiben mir. Es ist sicher mein autobiografischstes Lied.
Heute laufen Karrieren ja anders. Junge Leute sind ein paar Wochen berühmt und dann weg vom Fenster. In Ihrer Branche wiederum gibt es ein paar Leute, da hat man den Eindruck, die treten seit 50 Jahren im selben Sakko auf. Sie haben sich immer wieder neu erfunden – was ist Ihr Motor, immer wieder neu ins kalte Wasser zu springen?
Roos: Für mich waren immer viele Sachen wichtig. Dass man tanzen kann. Dass man Sketche spielen kann. Dass man viele Dinge tut, die mit diesem Beruf zu tun haben. Was nicht selbstverständlich war. Meine Plattenfirma hat damals auch gesagt, du bist doch keine Schauspielerin, warum willst du jetzt Theater spielen? Trotzdem habe ich dann ein Jahr lang Theater gespielt. Weil mir diese ganzen Erfahrungen wichtig waren. Die kann man alle wiederverwerten. Aber man muss kein großes Drama machen, wenn man singt. Wenn man es in dem Moment fühlt, dann reicht das. Gerade wenn ich schöne Texte singe, nehme ich mich eher zurück.
Bei "Arizona Man" wurde zum ersten Mal überhaupt bei einer deutschen Schlagerproduktion ein Synthesizer eingesetzt.
Roos: Ja, das nannte man ein Stylophone, da wurden die Tasten mit einem Stift bedient.
Das heißt, Sie waren schon früh innovativ unterwegs. Auf welchem Fuß stehen Sie denn mit der heutigen Technik?
Roos: Ganz gut – Instagram, Facebook, Website. Kann ich alles bedienen, alles wunderbar. Ich denke auch, dass man sich damit beschäftigen muss. Man kann ja nicht sagen, früher war alles einfacher. Das einzige, wo ich mich immer noch ärgere: Wenn ich in ein Hotel gehe und mache den Fernseher an, es gibt hunderttausend Knöpfe und ich komme nicht in mein Programm rein. Da werde ich verrückt. Aber auch das kann man bewältigen, wenn man zehn Minuten Geduld hat.
Das Programm heißt "Abenteuer Unvernunft" – was ist denn für Sie Unvernunft?
Roos: Mit 70 Jahren eine erste und letzte Tour zu machen. Ein Fallschirmsprung mit 63, wie ich das gemacht habe. Das ist für viele Leute unvernünftig, für mich ist das genau richtig. Abenteuer ist für mich immer wichtig. Alles, was ich tue, sollte auch Spaß machen. Ich glaube, das ist die neue Erfahrung, die jetzt mitgenommen habe. Dass man öfter den Kopf ausschaltet und mehr auf den Bauch hört.
Für das Konzert in Würzburg waren zuletzt nur noch Restkarten verfügbar.