Er war das liedgewaltige Sprachrohr der westdeutschen Linken und kommentierte mehr als drei Jahrzehnte das Zeitgeschehen. Jetzt ist Franz Josef Degenhardts kritische Stimme für immer verstummt. Der am Montag im Alter von 79 Jahren gestorbene Liedermacher zeichnete mit hintersinnigen Balladen das bundesdeutsche Kleinbürgermilieu. Sein Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ (1965) wird ebenso mit Degenhardt verbunden bleiben wie sein Spitzname „Väterchen Franz“, Titel eines der bekanntesten Protestsongs des engagierten Musikers.
Überzeugter Kommunist war der im westfälischen Schwelm geborene Degenhardt bis zum Schluss – dem Zusammenbruch des Sozialismus zum Trotz. „Ich bleibe meinen Grundsätzen treu“, sagte Degenhardt, der in Quickborn bei Hamburg lebte, einmal in einem Interview. Sein Lebensmotto war es, Grundsätze, die sich für ihn als richtig erwiesen hatten, nicht aufzugeben. „In dieser Epoche haben wir die Schlacht verloren. Aber es geht weiter. Ich hoffe da ganz auf unsere Enkel und Ur-Enkel.“
Sinfonie und Sonate
Die Konzerte des Politbarden, der noch bis vor wenigen Jahren auf Tournee ging, waren immer sehr gut besucht. „Unter den Zuhörern sind zunehmend junge Leute aus der autonomen Szene. Die lieben mich als Urgroßvater des Politsongs“, meinte er mal.
Degenhardt, ein Vetter des konservativen katholischen Paderborner Erzbischofs Johannes Joachim Degenhardt, hat auch mehrere Romane mit autobiografischen Zügen verfasst. Ein Roman sei für ihn „wie eine Sinfonie“, ein Lied „wie eine Sonate“, verriet der promovierte Rechtsanwalt. „Wenn ein Lied als Idee im Kopf fertig ist und im Herzen ankommt, komponiere und texte ich. Romane schreibe ich eher systematisch.“ Der Autor, der die Uni-Karriere aufgab, um als Anwalt der Außerparlamentarischen Opposition Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe zu verteidigen, räumte einst ein: „Natürlich gibt es manchmal Momente der Verzweiflung. Dann hilft es, laut herauszubrüllen.“ Das Singen sei durchaus eine Form von Therapie, sagte der Friedensaktivist, der 1971 aus der SPD ausgeschlossen wurde, weil er sich im schleswig-holsteinischen Wahlkampf für die DKP eingesetzt hatte. Die Waffe des politischen Künstlers und Protestsängers war das Lied. Radikal und lyrisch, melancholisch und ebenso zynisch, provozierend, aber auch verhalten sind die Songs Degenhardts, der zusammen mit Dieter Süverkrüp und Wolf Biermann die Vorstellung vom Begriff des „Liedermachers“ prägte. Er begann mit Bänkelsongs, die sich am französischen Chanson orientierten, verfasste später sozialkritische Lieder in der Tradition Brechts, Wedekinds und Tucholskys und provozierte mit Agitprop-Liedern.
Der alte Sozialdemokrat
Unvergleichbar sind Degenhardts Figuren, wie der Vati, der mal mit Rudi Dutschke reden möchte, der alte Sozialdemokrat vor dem Fabriktor, der Kommunist Rudi Schulte oder das Kommissionsmitglied, das einen Kriegsdienstverweigerer befragt. Die frühen aggressiven Töne wichen in späten Jahren einem eher heiteren Zynismus und der Nachbetrachtung des eigenen Engagements.
Zuletzt war es ruhig geworden um Degenhardt. Im September 2006 veröffentlichte er seine CD „Dämmerung“. Zum 75. Geburtstag erschien das von seinem Sohn Kai, einem seiner drei Kinder, herausgegebene Buch „Franz Josef Degenhardt – Die Lieder“ mit sämtlichen Texten und Noten.
Wie eine Bestandsaufnahme klang es, als Degenhardt Brechts Gedicht „An den Schwankenden“ las: „Wir haben Fehler gemacht, es ist nicht zu leugnen. Unsere Zahl schwindet hin. Unsere Parolen sind in Unordnung. Einen Teil unserer Wörter hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit. Was ist jetzt falsch von dem, was wir gesagt haben? Erwarte keine andere Antwort als Deine!“.