Sehr geehrter Herr Professor Paeth,
an der Universität Würzburg gibt es wohl kaum einen Wissenschaftler, den wir so häufig um eine Einschätzung oder Erklärung bitten wie Sie. Seit zwölf Jahren sind Sie nun Lehrstuhlinhaber. Und in unserem redaktionsinternen Textarchiv finden sich weit über 300 Artikel, in dem Sie zitiert sind. Allein mehr als zwei Dutzend im vergangenen halben Jahr. Allenfalls von Professor Peter Bofinger, dem Wirtschaftsweisen, mag es noch mehr Archiveinträge geben.
Der erste Ansprechpartner
Dass wir so oft auf Sie zukommen oder über Ihre Arbeit berichten – sicher, es hat auch damit zu tun, dass Sie immer sehr offen und schnell erreichbar sind. Wenn wir was fragen, antworten Sie prompt und erläutern der regionalen Presse einen Sachverhalt auch gerne ein drittes oder viertes Mal.
Dass Sie so oft der erste Ansprechpartner sind und ihr Wissen gefragt ist, liegt freilich vor allem an Ihrem Arbeitsgebiet. Klimaforschung. Oder genauer: Klimaänderungsforschung. Am Institut für Geografie und Geologie sind Sie Professor für Klimatologie – und wann immer es wieder eine Hitzewelle gibt, die Zahl der Tropennächte steigt, wann immer es um die Trockenheit in Unterfranken geht, es wieder heftigst geregnet, gehagelt, gestürmt, geschneit hat, sind Sie „der“ Ansprechpartner für alle akuten Wetter- und Klimafragen der Region.
Viele Projekte in Mainfranken
Und Sie machen ja auch viele mainfränkischen Projekte und sind hier immer wieder in der Öffentlichkeit. Wenn es um das Stadtklima in Würzburg geht, sie Wetterstationen an Platanen binden und herausfinden wollen, wie stark Bäume und Bebauung Temperatur, Wind, Luftfeuchtigkeit, Niederschlag und Globalstrahlung, kurz das Mikroklima in der erhitzten Stadt beeinflussen. Oder wenn Sie mit Winzern, Obstbauern und Forstwirten aus der Region ein großes Projekt starten, Klima-, Boden- und Umweltdaten sammeln und Modelle entwickeln wollen, mit denen sich Auswirkungen des Klimawandels hier am Main möglichst kleinräumig vorhersagen lassen. Und damit auch, was der Gemüsegärtner an den verschiedenen Standorten überhaupt noch anbauen soll.
Haben Sie das Gauland-Interview gesehen?
Klimawandel. Das ist das Stichwort, das ist der Anlass für diesen Brief. Haben Sie am vergangenen Sonntag zufällig das ZDF-Sommerinterview geschaut? Wenn nicht, Sie werden's mitbekommen haben. Den Klimawandel gibt es nicht. Zumindest nicht den vom Menschen beeinflussten. Heißzeiten gab es immer, kalte Zeiten gab es immer, längst vor der Industrialisierung mit ihrem massiven Kohlendioxid-Ausstoß. Sagt Alexander Gauland, der AfD-Chef. „Ich glaube nicht, dass es gegen den Klimawandel irgendetwas gibt, was wir Menschen machen können“, sagt er auch, leugnet also unsere treibende Rolle bei der globalen Erwärmung und hält Klimapolitik überhaupt für sinnlos. Ihre Forschungen damit wohl auch.

Der prominenteste Leugner ist Trump
Klimaskeptiker, Klimawandelleugner gibt es, seit es die junge physikalische Disziplin der Klimaforschung gibt. Seit im 20. Jahrhundert das durchschnittliche Verhalten der Atmosphäre enträtselt wurde und seit all die viele Messgeräte an Land, die Satelliten im All, die Sonden im Meer die heutigen Klimabedingungen registrieren und Sie und Ihre Kollegen in aller Welt Computersimulationen und Modelle entwickeln, wie es weitergeht mit Erwärmung und Meeresspiegeln in der Welt– seitdem gibt es Leute, die all das abtun. Und ihn schlicht abstreiten, den menschengemachten Treibhauseffekt. Der prominenteste von ihnen ist Donald Trump, der bei jedem Schneesturm in New York wieder was zur Klimalüge twittert. Klimawandel? Lächerlich. Alles nur eine Erfindung der Chinesen, um die US-Wirtschaft zu schwächen.
Dass jetzt aber in Deutschland eine ganze Partei von Klimaleugnern im Bundestag sitzt – was bedeutet das für Sie, sehr geehrter Herr Professor Paeth? Was heißt das für einen Wissenschaftler, der seit Jahren versucht, differenziert die Klimaveränderungen zu erklären – und dabei schon auch mal deutlich die Politik an ihre Versäumnisse erinnert, Großkonzerne für ökonomische, statt ökologische Entscheidungen kritisiert und appelliert, weniger durch die Welt zu jetten. Ein 70-Euro-Billigflug nach Barcelona müsste uns peinlich sein, sagen Sie. Und Vegetarier seien Klimaschützer.
Herr Paeth, ignorieren Sie die Leugner des Klimawandels?
Als sie vor zwölf Jahren nach Würzburg berufen wurden, sagten Sie in einem ersten Interviewüber den Einfluss des Menschen aufs Klima: „Politisch ist er unbestritten, das ist auch gut so.“ In Berlin aber haben die, die die Folgen unseres Konsums, unserer Mobilität, unseres CO2-Ausstoßes leugnen, jetzt eine politische Stimme. Austritt aus dem Pariser Abkommen, Schluss mit dem Klimaschutzplan, sagt AfD-Chef Gauland. „Diese gesamte Klimahysterie ist wirklich an den Haaren herbeigezogen“, sagt seine Kollegin Alice Weidel. „Einen Treibhauseffekt gibt es nicht“, sagt Rainer Kraft, promovierter Chemiker und bei der AfD klimapolitischer Sprecher.
Die AfD hat also einen Klimaexperten. Sehr geehrter Herr Professor Paeth, ignorieren Sie die Klimawandelabstreiter? Was halten Sie entgegen? Und was hat der extrem warme, trockene Sommer 2018 am Main mit dem Klimawandel zu tun? Oder so gefragt: Sind wir selbst für das Schwitzen verantwortlich?
Wieder einmal: Ihre Meinung interessiert uns!
Herzliche Grüße,
Alice Natter, Redakteurin
Einer bekommt Post! – Der „Samstagsbrief“ Jede Woche lesen Sie auf der Meinungsseite am Wochenende unseren „Samstagsbrief“. Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Figur des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An eine Person, der wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert wird der „Samstagsbrief“ sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der „Samstagsbrief“ ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen Samstagsbriefen hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den Samstagsbrief zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.