Lieber Felix Weid,
Sie gehören zu den 220.000 Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren, die erstmals in Bayern die Möglichkeit haben, an einer wichtigen demokratischen Wahl teilzunehmen. Und Sie sind fest entschlossen, dies bei der Europawahl am 9. Juni auch zu tun. Das haben Sie gerade in einer Umfrage unserer Redaktion in Schweinfurt gesagt.
Mir haben Sie danach im Gespräch erklärt, wie sehr Sie sich über das Eintreffen der Wahlbenachrichtigung gefreut haben. Ja, dass Sie richtig Lust haben, einen Beitrag zur politischen Gestaltung Ihrer - und unser aller - Zukunft zu leisten, obwohl Sie erst im Februar Ihren 16. Geburtstag gefeiert haben. Junge Leute sähen eben manche Dinge anders als die Älteren, sagen Sie. Sie setzten etwa in der Umweltpolitik auf schnelle Veränderung, statt auf Beharren.
Mit der Wahlbeteiligung können junge Leute ein Zeichen setzen
Es gibt aus meiner Sicht kein vernünftiges Argument, Ihnen diese Möglichkeit der demokratischen Mitbestimmung zu verweigern. Deshalb schreibe ich Ihnen stellvertretend für Ihre Generation: Möglichst viele junge Frauen und Männer im Teenager-Alter sollten dabei sein - und sich entweder kurzfristig noch Briefwahlunterlagen besorgen oder am 9. Juni auf den Weg ins Wahllokal machen. Sie können so ein Zeichen setzen, dass Ihnen das Miteinander in einem geeinten, grenzenlosen und friedfertigen Europa, nicht egal ist. Wahlrecht in Anspruch nehmen, Stimme abgeben - so funktioniert Demokratie.

Das Argument, 16-Jährige seien noch nicht "reif" genug, um politische Verantwortung mit der Wählerstimme wahrzunehmen, widerlegen Sie eindrucksvoll. Sie sagen, Sie informieren sich über die Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Medien, nutzen auch deren Angebote bei Instagram oder YouTube, um bei Themen wie Migration und Klimaschutz mitreden zu können und Fakenews, wie sie unseriöse Quellen in den sozialen Medien häufig verbreiten, entlarven zu können.
Auch in Ihrem Schulalltag ist die politische Bildung sehr präsent, haben Sie mir berichtet. Im Fach "Politik und Gesellschaft" diskutieren Sie in Ihrer zehnten Klasse am Walter-Rathenau-Gymnasium in Schweinfurt regelmäßig aktuelle Fragen vom Nahost-Krieg über das Potsdam-Treffen der Rechtsextremen bis zum Streit um das Tesla-Werk in Brandenburg.
Vor Wahlen geht Ihr Lehrer mit der Klasse den "Wahlomat", die Entscheidungshilfe der Bundes- und Landeszentrale für politische Bildung, durch und erklärt die Grundlagen des Wahlsystems. Das Interesse sei ziemlich groß, sagen Sie. Für mich klingt das so, als seien Sie und Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler nicht nur besser informiert, sondern auch motivierter in Sachen Politik als viele andere Gleichaltrige. Standard ist das womöglich nicht.
Ein befreundeter Mittelschullehrer hat mir neulich erzählt, er habe Zweifel, ob es sinnvoll ist, schon 16-Jährige an Wahlen teilnehmen zu lassen. Er nehme bei seinen Schülerinnen und Schülern trotz vieler Bemühungen oftmals großes Desinteresse an politischen Themen wahr. Er habe deshalb kein gutes Gefühl, diesen Teenagern mehr politische Mitbestimmung zu erlauben.
Es gibt auch Boomer und Senioren, die von Politik nur wenig Ahnung haben
Ein berechtigter Einwand. Andererseits: Ein höheres Lebensalter ist keine Garantie dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger gut über die Inhalte und Protagonisten der zur Wahl stehenden Parteien informiert sind. Sind 18-Jährige wirklich besser im Bilde als 16-Jährige? Und gibt es nicht auch unter Boomern und Senioren solche, die am politischen Geschehen keinerlei Interesse haben? Niemand käme ernsthaft auf die Idee, denen das Wahlrecht zu entziehen. In der Demokratie zählen alle Stimmen gleich.
Vielleicht ist das Herabsetzen des Wahlalters und die damit verbundene Möglichkeit, frühzeitig Politik mitzugestalten, sogar eine Chance, Menschen zum Mitmachen in der Demokratie zu gewinnen. Wer frühzeitig weiß, wie politisch Einfluss genommen werden kann und dann mit seiner Stimme auch tatsächlich Einfluss nehmen kann, ist möglicherweise auch eher bereit, sich für das politische Geschehen zu interessieren - allen voran auf lokaler, kommunaler Ebene.

Für Sie, lieber Felix Weid, und viele andere junge Leute ist es nach der Europawahl aber erst einmal wieder vorbei. Bei der nächsten anstehenden Wahl, der Bundestagswahl im September 2025, ist Ihre Stimme nämlich nicht gefragt. Sie sind dann 17 Jahre alt - und somit noch nicht wahlberechtigt. Oder eben nicht mehr. Jede Wahl hat nämlich eigene Regeln. Eine kuriose Situation.
Umso wichtiger finde ich, dass Sie und Ihre Altersgenossen jetzt Ihre Wahlmöglichkeit nutzen - und für ein demokratisches, freiheitliches Europa stimmen. Bringen Sie Ihre Freundinnen und Freunde mit ins Wahllokal, sie werden es nicht bereuen.
Herzliche Grüße aus Würzburg
Michael Czygan, Redakteur
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