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Würzburg: Samstagsbrief an den Bundestrainer: Schreiben Sie uns ein neues Sommermärchen, lieber Julian Nagelsmann

Würzburg

Samstagsbrief an den Bundestrainer: Schreiben Sie uns ein neues Sommermärchen, lieber Julian Nagelsmann

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    Bundestrainer Julian Nagelsmann am Donnerstag bei der Pressekonferenz zur Nominierung des Kaders für die Fußball-Europameisterschaft.
    Bundestrainer Julian Nagelsmann am Donnerstag bei der Pressekonferenz zur Nominierung des Kaders für die Fußball-Europameisterschaft. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Lieber Julian Nagelsmann,

    nach anfänglicher Skepsis bin ich überzeugt: die Art und Weise, wie Sie und der DFB diese Woche den Spieler-Kader für die Fußball-Europameisterschaft öffentlich gemacht haben, die war großartig.

    In der Vergangenheit bot die Bekanntgabe der Spieler, die bei einem Turnier dabei sein durften, dem Bundestrainer einen ebenso spannungsträchtigen wie machtvollen Auftritt: Ihm allein war es vorbehalten, die richtungsweisenden Personalentscheidungen zu verkünden.

    Diesmal konnte Fußball-Deutschland ganz gelassen auf den Tag der Bekanntgabe blicken. Die Namen der meisten Profis, die bei der EM für Deutschland spielen, wurden innerhalb weniger Tage auf ungewöhnliche Weise öffentlich. Den Anfang machte  "Tagesschau"-Sprecher Jens Riewa, der in der 20-Uhr-Hauptausgabe am Sonntag Verteidiger Nils Schlotterbeck als ersten EM-Fahrer verkündete.

    Nominierung der Spieler für den Kader für die Fußball-EM per Brötchentüte

    Dienstagmorgen sorgten bei einem Bäcker im Schwarzwald Brötchentüten mit dem Konterfei von Mittelfeldmann Chris Führich für Klarheit, den Namen von Bayern-Star Leroy Sané machte die Frankfurter Kunsthalle Schirn publik, Günther Jauch gab die Personalie Pascal Groß per Instagram-Video bekannt, Sänger Peter Schilling ("Major Tom") veröffentlichte den Namen Maximilian Mittelstädt. Und, und, und ...

    Manch einer der 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland zeigte sich ob solcher Innovationen irritiert, gerade die jüngeren Fans waren von der PR-Aktion begeistert. Über Nacht war die Nationalmannschaft, nach den letzten Turnier-Auftritten als Truppe alternder, vom Fußball-Volk abgehobener Millionäre verspottet, Gesprächsstoff bei der Arbeit, im Bus, in den Schulen.

    Schön, lieber Julian Nagelsmann, dass Sie diesen Gag mitgemacht haben, auch wenn Sie bei Ihrer Pressekonferenz am Donnerstag nicht mehr allzu viel zu verkünden hatten.

    Nominierung per Brötchentüte: Ein Bäcker im Schwarzwald verkündete, dass Chris Führich vom VfB Stuttgart zum Aufgebot für die EM gehört.
    Nominierung per Brötchentüte: Ein Bäcker im Schwarzwald verkündete, dass Chris Führich vom VfB Stuttgart zum Aufgebot für die EM gehört. Foto: Christoph Schmidt, dpa

    Der deutsche Fußball präsentiert sich zehn Jahre nach dem glorreichen WM-Sieg von Rio endlich wieder nahbar, locker, bei allem sportlichen Ernst auch als Spaßveranstaltung. Ein Verdienst nicht zuletzt von Ihnen: Ein junger Trainer, der ein paar alte Zöpfe abgeschnitten hat. Einer, der sich nicht scheute, einige ältere, allzu satt gewordene Spieler auszutauschen, der - abgesehen von Führungsfiguren wie Toni Kroos und Manuel Neuer - auf junge, ebenso intelligente wie spielfreudige Hoffnungsträger wie Jamal Musiala und Florian Wirtz setzt.

    Auf die Auftritte vieler Bundesliga-Teams haben im EM-Jahr Lust gemacht auf Fußball

    Die beiden letzten Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande stimmen nicht nur mich hoffnungsfroh, dass es sich wieder lohnen könnte, mit der Nationalmannschaft mitzufiebern. Ganz ehrlich, zuletzt - allen voran bei der total verpeilten WM in Katar - war mir die Lust auf das Team vergangen. Auf Public Viewing oder private Fußball-Feste vor dem Fernseher in der Nachbarschaft hatte schon länger niemand im Freundeskreis mehr Bock.

    Dass das heuer wieder anders werden könnte, liegt aber nicht nur am Auftreten Ihrer Elf, lieber Julian Nagelsmann.  Auch die Bundesliga-Vereine haben dazu beigetragen, dass Fußball-Fans wie ich wieder gerne "Sportschau" und "Sportstudio" gucken.

    Dass dabei geholfen hat, dass der FC Bayern endlich mal nicht Meister geworden ist, darf ich in meinem Umfeld nicht laut sagen. Aber Abwechslung tat Not. Dennoch: Champions-League-Halbfinale ist ja auch nicht schlecht. Und Dortmund sogar im Finale gegen Real Madrid, da sage nochmal jemand was gegen den deutschen Vereinsfußball.

    Hoffen auf einen euphorischen Fußball-Sommer mit der EM 2024

    Der Hammer aber sind und waren die Auftritte von Bayer Leverkusen in dieser Saison. 50 ungeschlagene Spiele, nach der Meisterschaft nun auch noch die Chance, den DFB-Pokal und die Euroleague zu gewinnen, Chapeau! Da sind spielfreudige Kicker am Werk, die das Offensivspiel lieben und bis zur letzten Sekunde an den gemeinsamen Erfolg glauben.

    Für mich als Würzburger gehören auch die Kickers in diese Reihe. Sie haben ihren Teil zum Stimmungswandel beigetragen, zumindest in Unterfranken. Wenn es jetzt noch mit dem Wiederaufstieg in die dritte Liga hinhaut, steht der Fußball-Euphorie nichts im Wege.

    Das neue Sommermärchen indes, das müssen Sie mit Ihrem Team schreiben, lieber Julian Nagelsmann. Wir Fans stehen bereit.

    Ein kleines Geständnis muss ich zum Schluss machen. Ich habe tatsächlich - mitten zur EM-Zeit - vom 11. bis 25. Juni einen Auslandsurlaub gebucht. Anfängerfehler. Früher wäre mir das nie und nimmer passiert. Aber da sehen Sie, wie weit es mit der Fußballbegeisterung bei Fans wie mir gekommen ist.

    Ich verspreche Ihnen aber, ich werde das Fußball-Feiern ab Ende Juni nachholen. Wenn Sie mir versprechen, mit Team Deutschland zumindest das Achtelfinale zu erreichen.

    Herzliche Grüße aus Würzburg

    Michael Czygan, Redakteur 

    Persönliche Post: der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt -an eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. 

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