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Würzburg/Schweinfurt: Samstagsbrief an Klaus Ernst: Als Linker müssen Sie mit der Ukraine solidarisch sein!

Würzburg/Schweinfurt

Samstagsbrief an Klaus Ernst: Als Linker müssen Sie mit der Ukraine solidarisch sein!

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    Der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst vertritt seit 2005 den Wahlkreis Schweinfurt im Deutschen Bundestag.
    Der Linken-Abgeordnete Klaus Ernst vertritt seit 2005 den Wahlkreis Schweinfurt im Deutschen Bundestag. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Sehr geehrter Herr Ernst,

    Ihr Auftritt in der Talkshow von Sandra Maischberger am Mittwoch sorgt deutschlandweit für Schlagzeilen. Einen "arrogant-sensiblen Kotzbrocken" nennt Sie der Satiriker Oliver Kalkofe, einen "marxistischen Spinner" der scheidende ukrainische Botschafter in Berlin, Andrej Melnyk. "Zum Fremdschämen, nur noch peinlich" fand Ihr Parteifreund, der baden-württembergische Linken-Chef Luigi Pantisano Ihre Argumentation im Streitgespräch mit der Grünen Marieluise Beck.

    Starker Tobak. Ich persönlich mag ja eigentlich Politiker wie Sie, die sich nicht so einfach in eine Schublade stecken lassen, die gerne auch mal dem parteiinternen Mainstream widersprechen, die – wie Sie es tun – für die Sache der arbeitenden Bevölkerung eintreten und trotzdem Porsche fahren, die als Linke auch konservative Knochen wie CSU-Mann Peter Ramsauer zu ihren Freunden zählen. Und die nicht jede öffentliche Äußerung daraufhin checken, ob sie nicht eine potenzielle Wählerin oder einen potenziellen Wähler verschrecken könnte.

    Die Glaubwürdigkeit der Linkspartei steht auf dem Spiel

    Aber ganz ehrlich: Mit Ihrer Haltung zum Krieg in der Ukraine, wie sie bei "Maischberger" einmal mehr deutlich wurde, haben Sie sich auch bei mir Sympathien verscherzt. Das kann uns beiden – professionell betrachtet – wurscht sein. Entscheidender ist, dass Sie die Glaubwürdigkeit der Linkspartei, die Sie einst selbst mitgegründet haben, mit Ihren politischen Forderungen zum Umgang mit Putins Russland aufs Spiel setzen. Immer mehr Parteifreundinnen und -freunde machen da nicht mehr mit und verlassen die Linke: Im Frühjahr schon ihre ehemalige unterfränkische Bundestagskollegin Simone Barrientos, zuletzt auch Partei-Promis wie Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, und der Finanzexperte Fabio de Masi.

    Eine starke linke Stimme könnte der Debatte in diesen Tagen guttun: Politikerinnen und Politiker, die darauf achten, dass angesichts explodierender Energie- und Lebensmittelpreise den sogenannten kleinen Leuten vom Staat so geholfen wird, sodass sie nicht zwangsläufig in der Armut landen. Politikerinnen und Politiker, die dafür kämpfen, dass die Lasten, die der von Putin angezettelte Angriffskrieg auch hierzulande mit sich bringt, halbwegs gerecht verteilt werden.

    Die Forderung, Nordstream II zu öffnen, ist unsinnig

    Dabei, lieber Klaus Ernst, darf es aber weder einen Zweifel geben, dass Putin der Aggressor ist, der das Nachbarland überfallen hat und dort massiv Kriegsverbrechen begeht, noch, dass Russland den folgenden Wirtschaftskrieg verantwortet. Putin erpresst den Westen mit Gaslieferungen. Er öffnet und schließt die Pipeline Nordstream I so, wie es ihm gerade beliebt, und es gibt keinerlei Hinweis dafür, dass er es mit Nordstream II nicht genauso tun würde. Schon deshalb ist die Forderung, diese Gasleitung in Betrieb zu nehmen, unsinnig.

    Eine Partei wie die Linke, die sich dem friedlichen Zusammenleben der Menschen verpflichtet sieht, die für internationale Solidarität, für Menschenrechte, für Meinungsfreiheit und gegen soziale Ungleichheit und Unterdrückung stehen will, muss in diesem Konflikt konsequent auf Seiten der Ukraine sein. Auch wenn das hierzulande zu Wohlstandsverlusten führt. Diesen Preis müssen wir zahlen, so bitter es für den einzelnen auch ist. Dies den Menschen ehrlich zu erläutern, wäre in dieser Situation die Aufgabe gerade auch für einen Linken. Damit liefe man dann auch keine Gefahr, ins rechtspopulistische Fahrwasser abzugleiten, so wie es Ihrer Freundin Sahra Wagenknecht nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen wird.

    Bleibt schließlich noch die Frage: Bedeutet Solidarität mit der Ukraine auch, das Land mit Waffen aller Art massiv aufzurüsten? Ich fürchte: ja. Politisch sozialisiert in Hochzeiten der Friedensbewegung, habe ich früher auch geglaubt, Frieden schaffen ohne Waffen sei die richtige Option, um der Gewalt- und Rüstungsspirale zu entkommen. Ich bin da längst desillusioniert: Eine wehrhafte Demokratie muss sich im Ernstfall auch militärisch verteidigen können. Gegen Autokraten hilft kein Appeasement, da helfen offenbar nicht mal enge Handelsbeziehungen, wie das Beispiel Putin auf furchtbare Weise zeigt. Ohne militärischen Druck wird der russische Aggressor niemals zu Verhandlungen mit der Ukraine bereit sein.

    Lieber Herr Ernst, dieser Krieg stellt in allen politischen Lagern lange gehegte und gepflegte politische Überzeugungen infrage. Ich glaube, auch in der Linken werden noch mehr Leute über ihren Schatten springen müssen. Sie gehören vermutlich dazu.

    Beste Grüße aus Würzburg

    Michael Czygan, Redakteur

    Persönliche Post: Der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.

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