Lieber Chan-jo Jun,
kann der Mann denn nicht mal in Ruhe Urlaub machen und die Füße hochlegen? Das habe ich mich dieser Tage gefragt, nachdem Sie sich im Netz einem Shitstorm der sogenannten Querdenker um den Verschwörungsideologen Bodo Schiffmann ausgesetzt haben. Starker Tobak, was da an Beschimpfungen und Verleumdungen zu lesen ist unter den Videos, die Sie bei Youtube, Facebook und Twitter veröffentlicht haben.
Sie nehmen sich darin Schiffmanns dubiose Spendensammlung für Hochwasser-Opfer im Westen Deutschlands vor und warnen - sehr sachlich - die Menschen, auf welch rechtlich dünnem Eis sich der umstrittene Arzt bewegt. Mittlerweile, so ist zu lesen, hat der Finanzdienstleister Paypal das "Spendenkonto" in Höhe von rund 700 000 Euro gesperrt.
Warum also mischen Sie sich da ein? Ein anwaltliches Mandat haben Sie, soweit ich das überblicken kann, nicht. Und Vergnügen macht so eine Auseinandersetzung auch nicht wirklich. Ich glaube, Sie handeln hier mal wieder, wie so oft, als Getriebener, als ein Streiter für Recht und staatliche Ordnung. Als jemand, der einfach nicht ertragen kann, zu erleben, wie leichtfertig manche Menschen demokratische und juristische Werte gefährden.
Anzeige gegen Mark Zuckerberg
Ich habe Sie, lieber Chan-jo Jun, 2016 kennengelernt. Damals hatten Sie führende Facebook-Manager, allen voran Gründer Mark Zuckerberg, bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, weil der Internet-Riese ihrer Meinung nach zu wenig gegen Volksverhetzung, Verleumdungen und Aufrufen zu Gewalt auf seiner Plattform tat.
Intensiver wurde unser Kontakt, als Sie schließlich im Frühjahr 2017 den jungen Syrer Anas Modamani in einem Verfahren gegen Facebook vertraten. Der Konzern hatte sich geweigert, Fotomontagen und Kommentare, in denen nachweislich nur Lügen und Diffamierungen über den Flüchtling verbreitet wurden, konsequent aufzuspüren und zu löschen.

Mit diesem Prozess waren Sie dann endgültig bundesweit in den Schlagzeilen - als Kämpfer gegen rechtsfreie Räume im Internet. Losgelassen hat Sie das Thema seitdem nicht mehr. Der Sieg im Würzburger Facebook-Prozess blieb Ihnen zwar verwehrt, politisch indes war das Verfahren überaus erfolgreich. Ihre Arbeit hat damals gezeigt, wie dringend Handlungsbedarf für mehr Regeln im Netz besteht.
Das - mittlerweile mehrfach nachgeschärfte - Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das die Internet-Konzerne zwingt, deutlich mehr Anstrengungen gegen Hass und Hetze auf ihren Plattformen zu unternehmen, war nicht zuletzt die Folge Ihres beharrlichen Engagements. Heute stellen die Notwendigkeit von Regulierung in den sozialen Medien die allermeisten Demokraten auch über Deutschland hinaus nicht mehr in Frage. 2017 war das noch ganz anders.
Beschimpfungen und Morddrohungen
Der Preis für Sie persönlich war nicht ohne. Beschimpfungen und Beleidigungen, auch rassistischer Art, sind das eine, Morddrohungen das andere. Dass die Gefährdungen nicht nur abstrakt waren und sind, wissen wir spätestens, seit kürzlich bekannt wurde, dass der mutmaßliche Autor der NSU-2.0-Drohbriefe auch derjenige gewesen sein muss, der 2017, während des Facebook-Prozesses, nicht nur Sie, sondern auch Ihre Familie mit dem Tod bedroht hat. Ich weiß, dass diese Geschehnisse nicht spurlos an Ihnen vorbei gegangen sind. Wie soll das auch gehen?

Trotzdem machten und machen Sie weiter in Ihrem vorbildlichen Einsatz für Recht und Demokratie. Und Sie tun dies alles im Zweifel auch abseits der Medienöffentlichkeit, wenn Sie in Parteien, bei Vereinen und sehr gerne auch in Schulklassen über Chancen und Fallstricke der digitalen Freiheit informieren und diskutieren. Das ist gelebtes zivilgesellschaftliches Engagement. Und es macht anderen Menschen Mut, es Ihnen gleichzutun.
Dennoch, lieber Chan-jo Jun, ich wünsche Ihnen, dass Sie wenigstens in diesen Sommertagen auch mal - gemeinsam mit der Familie - zur Ruhe kommen, sich ein wenig befreien können vom selbstgewählten Druck, über all die Stöckchen zu springen, die Ihnen Menschenfeinde, Hater und Schwurbler entgegenhalten. Manchmal ist weniger auch mehr. Erholen Sie sich, tanken Sie auf. Sie und Ihre Courage werden nämlich, so fürchte ich, noch lange gebraucht.
Herzliche Urlaubsgrüße
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