Liebe Belegschaft des Mainfranken Theaters,
jetzt, wo sich die Wogen um den Intendantenwechsel allmählich glätten, ist es Zeit für einen Brief der Anerkennung, Bewunderung und Aufmunterung: Das wahre Gesicht des Mainfranken Theaters ist nicht ein Intendant oder eine Intendantin. Das wahre Gesicht seid Ihr!
Denn für das Publikum gilt: Wenn der Intendant die Bühne betritt, ist das meist kein gutes Zeichen. Dann hat er schlechte Nachrichten. Ein Schauspieler oder eine Sängerin ist ausgefallen, irgendwas funktioniert nicht, wie es sollte. Kurz: Die Vorstellung kann nicht so stattfinden, wie geplant.

Aber wenn Ihr die Bühne betretet, liebe Schauspielerinnen, Sänger, Musiker, Tänzerinnen, dann findet Theater statt. Denn Ihr seid es, die mit Eurem ganzen Körper, mit Eurer Arbeit, Euren Emotionen, Eurer Persönlichkeit das stattfinden lasst, weswegen viele Tausend Menschen jedes Jahr in Eure Vorstellungen kommen.
Und dann sind da noch all die unsichtbaren Gesichter: Der Menschen, deren Kunst darin besteht, Bühne überhaupt erst zu ermöglichen. Die ihren Job dann am besten machen, wenn keiner sie bemerkt. Denn hinter der Illusion da vorne steht ein riesiger Apparat an Profis, die für Bühnenbild, Licht, Ton, Technik, Kostüm, Requisite, Maske, Dramaturgie, Regie, Organisation, Öffentlichkeitsarbeit, Theaterpädagogik, Finanzen oder Verwaltung zuständig sind.
Die Belegschaft hat - trotz aller Widrigkeiten - immer tolles Theater gemacht
Der Begriff "Illusion" ist hier alles andere als abwertend gemeint. Im Gegenteil: Der Zauber Eurer Kunst besteht ja genau darin, dass Ihr Illusionen produziert, um Wahrheiten zu transportieren. Wahrheiten für den Augenblick, nicht selten aber auch Wahrheiten für ein ganzes Leben. Gibt es einen besseren Grund, ins Theater zu gehen?
Ihr, die Belegschaft, habt in immer wieder neu sich formierenden Konstellationen in all den Jahren, trotz aller Widrigkeiten, tolles Theater gemacht. Ihr wart loyal zum Haus. Und mehr noch: zur Kunst.

Ich könnte es deshalb gut verstehen, wenn Euch neulich die Interviewfrage an Euren neuen Intendanten - "Ist das Mainfranken Theater ein Trümmerhaufen?" - sauer aufgestoßen wäre. Aber das war, natürlich, eine rhetorische Frage. Und Georg Rootering hat sie ja auch eindeutig beantwortet: "Trümmerhaufen ist kein gut gewählter Begriff, wenn man sich vor Augen hält, dass die hervorragende, wunderbare Belegschaft des Hauses zu vielem bereit ist und sehr, sehr viel leistet."
Nie gab es eine dahingeschluderte Vorstellung oder ein müde heruntergefiedeltes Konzert
Wie groß diese Widrigkeiten waren und teilweise sind, das wissen übrigens die wenigsten Menschen. Und da Ihr, liebe Belegschaft, Euch aus professionellem Ethos, nichts davon anmerken lasst, will ich dem Publikum einen kleinen Einblick geben:
- Das immer neu enttäuschte Warten auf das neue Haus. Inzwischen wird für ein mögliches Eröffnungsdatum des komplett sanierten Mainfranken Theaters, wenn auch nicht offiziell, immer öfter das Jahr 2030 genannt.
- Das mühsame Getingel von einer Behelfsspielstätte zur nächsten in der Pandemie. Ich kann mich an ziemlich kühle Stunden in der Kirche St. Andreas und ziemlich warme in der Blauen Halle erinnern.
- Das Gefühl vieler Mitarbeitenden, in ihrer Kompetenz nicht wahrgenommen und in ihren Bedürfnissen nicht gehört zu werden. Die Personalvertretung hat sich erst an die Presse gewandt, als Hilferufe an die Stadt ungehört verhallt waren. Wichtigste Kritik: "Stark eingeschränkte Entscheidungsspielräume, irrwitzige Strukturen und Betriebsabläufe, nicht funktionierende Kommunikation".
- Die große Fluktuation in vielen Abteilungen, die Belastungen und Anpassungen bedeutete. Und nicht zuletzt den Abschied von geschätzten Kolleginnen und Kollegen.
- Die grundsätzlich unsichere vertragliche Situation des künstlerischen Personals. Der Tarifvertrag "NV Bühne" erlaubt Ein-Jahres-Verträge in Serie, die jederzeit gekündigt werden können. Der Tarifvertrag ist inzwischen zwar gekündigt, aber alle Regeln gelten weiter, bis es eine neue Vereinbarung gibt.
- Die Ignoranz mancher Menschen, die glauben, Theater sei fast zum Nulltarif zu bekommen, und wenn nicht, dann sei es eben verzichtbar. Solche Kommentare finden sich immer wieder zu Berichten über das Bauprojekt Mainfranken Theater.
Euch hat all das nicht dazu gebracht, in Eurem Engagement nachzulassen. Wenn auch die Eine oder der Andere bestimmt gelegentlich nahe an der Resignation war - auf der Bühne war davon nie etwas zu spüren. Ich habe nie eine auch nur ansatzweise dahingeschluderte Vorstellung oder ein müde heruntergefiedeltes Konzert erlebt. Deshalb ist trotz der öffentlichen Personaldebatte Eure künstlerische Arbeit nie in den Hintergrund geraten. Und deshalb ist Euch das Publikum treu geblieben.
Ihr seid es, liebe Belegschaft, weswegen das Würzburger Mainfranken Theater alles andere ist als ein Trümmerhaufen. Und jetzt bin ich gespannt, wie der Neustart unter neuer Führung aussehen wird. Ich bin sicher, Ihr kriegt ihn mit Bravour hin.
Mit großer Vorfreude,
Mathias Wiedemann Redakteur
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