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Würzburg: Samstagsbrief: Die Kritik an Ihrer Impf-Skepis ist weit überzogen, Herr Kimmich

Würzburg

Samstagsbrief: Die Kritik an Ihrer Impf-Skepis ist weit überzogen, Herr Kimmich

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    Blick zurück auf eine turbulente Woche: Joshua Kimmich entfachte mit seiner Haltung zum Impfen eine  hitzige Debatte - und verlor Tage später ein Pokalspiel mit dem FC Bayern 0:5.
    Blick zurück auf eine turbulente Woche: Joshua Kimmich entfachte mit seiner Haltung zum Impfen eine  hitzige Debatte - und verlor Tage später ein Pokalspiel mit dem FC Bayern 0:5. Foto: Tim Groothuis, Witters

    Lieber Herr Kimmich, Sie haben in den vergangenen Tagen eine kleine Staatskrise ausgelöst. Der geborene Sieger FC Bayern hat ein Pokalspiel in Mönchengladbach 0:5 verloren – was einem Beben gleichkam. Und als wäre das nicht Verheerung genug, hatten Sie da schon eine weitere Katastrophe losgetreten, die das Naturgesetz, wonach Fußballspieler wie Sie immer auch aufrechte Vorbilder für diese Gesellschaft zu sein haben, auf den Kopf stellt. Von einem "Tsunami" sprach Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß mit Blick auf das gewaltige Medienecho. Was war da los? Eben noch waren Sie der nette Junge von nebenan, aber jetzt, Herr Kimmich, hat man das Gefühl, Sie seien ein Komplize des Teufels.

    Sie mussten dieser Tage nicht nur Bälle und Gegner auf dem Platz abräumen, sondern auch Angriffe und Anwürfe aus der Mitte der Gesellschaft. Aber der Selbstverteidigungsmodus liegt Ihnen nicht. In die Hauptnachrichten der Tagesschau haben Sie es geschafft, und dies nicht wegen Ihrer sportlichen Leistung. Sogar der Regierungssprecher schaltete sich in die Debatte ein.

    Es fehlt nicht viel, dann wird man Sie dafür verantwortlich machen, wenn die Impf-Kampagne in diesem Land jetzt wieder stockt: weil Sie doch Vorbild seien und als solches zu bedingungsloser Solidarität gehalten. Sie hätten sich längst gegen Corona impfen lassen müssen, hätten mit gutem Beispiel vorangehen und allgemeine Interessen über Ihre persönlichen stellen sollen. Hätten, hätten, hätten . . .

    Der Chor der Empörten ist schon groß genug

    Es wäre einfach, jetzt in den Chor der Erregten und Empörten einzustimmen, es wäre ein Leichtes, Sie in den Strafraum der Gesellschaft zu stellen. Aber das ist nicht mein Ansinnen, lieber Herr Kimmich. Ich möchte und werde den moralischen Zeigefinger stecken lassen, nicht weil ich ein glühender Fan des FC Bayern wäre, nicht weil ich Sie so sehr verehrte, sondern weil ich finde, dass sich keiner anmaßen sollte, Sie in dieser Situation zu verurteilen. Auch ich habe lange mit mir gerungen, bis ich mich impfen ließ.

    Au backe! Auch als Nationalspieler ist Joshua Kimmich unter Druck geraten – wegen seiner ihm auferlegten Vorbildfunktion.
    Au backe! Auch als Nationalspieler ist Joshua Kimmich unter Druck geraten – wegen seiner ihm auferlegten Vorbildfunktion. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Eine Sache wie die eigene Gesundheit kann man nicht mit Maßstäben allgemeiner Moral und gesellschaftlicher Konventionen bemessen. Wenn es um etwas Sensibles wie den eigenen Körper geht, darf auch in Zeiten wie diesen nicht von anderen bestimmt werden, was man zu tun oder zu lassen hat, zumal – und das ist der Punkt und der Unterschied etwa zur Masern-Impfung – mittlerweile selbst Experten bezweifeln, dass eine Herdenimmunität gegen das Coronavirus je zu erreichen sein wird. Vor diesem Hintergrund sollte sich keiner dazu erheben, die Impfung jetzt zum kategorischen Imperativ auszurufen.

    Beim Impfen geht es erst in zweiter Linie um den Schutz der anderen

    Sie, Herr Kimmich, bewegen sich im Rahmen des Gesetzes. Wer Sie kritisiert, meint eigentlich den Staat. Auch als sogenanntes Vorbild der Gesellschaft müssen Sie nicht gegen Ihre Überzeugung handeln. Die Frage, wie die Freiheit des einzelnen in Solidarität mit anderen zu betrachten ist, erleben wir gerade auch beim Klimaschutz. Es ist die gleiche moralische Keule, die da geschwungen wird, mit dem Unterschied, dass der Verzicht auf Fleisch oder Kurzstreckenflüge weit weniger in das Recht auf körperliche Selbstbestimmung hineinwirkt wie die Impfung. Dabei geht es beim Impfen erst in zweiter Linie um den Schutz der anderen, weil man selbst als Geimpfter das Virus weitergeben kann.

    Über Ihre Aussage zu "fehlenden Langzeitstudien" der Impfung kann man trefflich streiten. Natürlich gibt es genügend Experten, die eben diese Langzeitfolgen verneint haben. Dabei hat der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko) gerade erklärt: "Dass es bei der Anwendung eines Impfstoffes über knapp ein Jahr keine Zehnjahres-Beobachtungsstudien geben kann, ist klar." Ist das etwas fundamental anderes, als Sie gesagt haben?

    Im selben Interview, das Ihnen jetzt um die Ohren fliegt, haben Sie klar gemacht, dass Sie kein radikaler Impfgegner seien und durchaus erwägen, sich noch impfen zu lassen. Damit dürfte deutlich geworden sein, dass Sie Querdenkern und Corona-Leugnern gerade keine Steilvorlage geliefert haben.

    Sind Sie nicht auch erschrocken, dass Ihnen in der Tagesschau eine eigene Meldung zuteil wurde? Mal unter uns, Herr Kimmich: Will man jetzt jeden halbwegs prominenten Impfzauderer in diesem Land an den medialen Pranger stellen? Das grenzt selbst für den Chef der Stiko an "groben Unfug". Endgültig grotesk wird es, wenn man Sie vor einem Millionenpublikum in der Sportschau zu einer Offenbarung nötigt und Sie nachher für die Negativwerbung ("schlechtes Vorbild") kritisiert. Ich bin mir sicher, Herr Kimmich, Sie werden diesen Tsunami überstehen. Leichter als das Beben des 0:5.

    Mit den besten Grüßen

    Eike Lenz, Redakteur

    Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.Quelle: MP

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