Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Meinung
Icon Pfeil nach unten
Samstagsbrief
Icon Pfeil nach unten

München: Samstagsbrief: Es gibt 243 Millionen Gründe, warum Sie nicht Rechnungsprüfer werden konnten, Herr Scheuer!

München

Samstagsbrief: Es gibt 243 Millionen Gründe, warum Sie nicht Rechnungsprüfer werden konnten, Herr Scheuer!

    • |
    • |
    Sollte Rechnungsprüfer im Passauer Stadtrat werden – und wundert sich, dass dies vor dem Hintergrund seiner politischen Bilanz auf Kritik stieß: Ex-Bundesminister Andreas Scheuer (CSU).
    Sollte Rechnungsprüfer im Passauer Stadtrat werden – und wundert sich, dass dies vor dem Hintergrund seiner politischen Bilanz auf Kritik stieß: Ex-Bundesminister Andreas Scheuer (CSU). Foto: Christoph Soeder, dpa

    Sehr geehrter Herr Scheuer,

    "Es reicht!" Diese zwei Worte haben Sie kürzlich in sozialen Medien gepostet. In großen weißen Buchstaben auf dunklem Grund und mit Ausrufezeichen.

    Im ersten Moment habe ich auf eine späte Form der Selbsterkenntnis bei Ihnen gehofft. Ich dachte, Sie hätten vielleicht, nachdem Sie im April Ihr Bundestagsmandat niedergelegt hatten, in der sommerlichen Ruhe erkannt, dass Sie endlich Verantwortung übernehmen müssen für die teuren politischen Flops in ihrer Zeit als Bundesminister, die Ihnen den schönen Spitznamen "Bundesfiaskominister" eingebracht haben. Doch leider habe ich mich getäuscht.

    Nur kurz zur Erinnerung: Weil Sie die Verträge für die von Anfang an zum Scheitern verurteilte "Ausländermaut" zu früh und ohne richtige Ausstiegsklausel unterschrieben haben, müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für satte 243 Millionen Euro Schadenersatz geradestehen.

    Erst diesen Sommer hat das Verwaltungsgericht in Köln zudem geurteilt, dass das Bundesverkehrsministerium unter Ihrer Führung "massiv" und "rechtswidrig" auf die Vergabe der 5G-Mobilfunklizenzen Einfluss genommen hat. Eine Folge: Weniger Wettbewerb und höhere Preise für Mobilfunknutzer in Deutschland.

    Dass Sie durch Formfehler zudem eine Bußgeldreform im Straßenverkehr in den Sand gesetzt und zu Beginn Ihrer politischen Karriere einen zumindest fragwürdigen Doktortitel getragen haben, wird dabei fast schon zur Petitesse.

    Statt Demut angesichts eigener Fehlleistungen nur eine schräge Verschwörungstheorie

    Es gäbe also genügend Gründe zur Demut, sehr geehrter Herr Scheuer, zum ehrlichen Eingeständnis eigener Fehlleistungen. Doch stattdessen findet sich unter dem dicken "Es reicht!" nur eine schräge Verschwörungstheorie mit einem vermeintlich unschuldigen Opfer: Andreas Scheuer, der sich doch immer nur "für das Gemeinwohl und für unsere Demokratie einbringen" wollte.

    Was war passiert? Im Passauer Stadtrat war ein Posten im Rechnungsprüfungsausschuss frei geworden. Solche Funktionen würden stets "nach Vorlieben und Fähigkeiten" besetzt, wird der Vorsitzende der CSU-Stadtratsfraktion zitiert. Man brauchte also jemanden, der sich mit Zahlen auskennt und der auch ein Gespür dafür hat, wo eine finanziell klamme Kommune möglicherweise Steuergelder versenkt. Wieso die Passauer CSU bei diesem Anforderungsprofil ausgerechnet auf den Stadtrat Andreas Scheuer kam, wird wohl ihr Geheimnis bleiben.

    Jedenfalls antworteten Sie nach eigener Auskunft "trotz neuer beruflicher Ausrichtung und internationaler Verpflichtungen mit einem klaren Ja" - und wundern sich ganz offenbar noch immer, dass vor dem Hintergrund der teuren Folgen Ihrer bundespolitischen Karriere diese Postenbesetzung innerhalb wie außerhalb des Passauer Stadtrats postwendend auf massive Kritik und Widerspruch stieß.

    Kritische Medien als "Steigbügelhalter der Bösartigkeit"?

    Mehr noch: Sie vermuten gar "ein abgekartetes Spiel" zu Ihren Lasten - ausgerechnet eingefädelt von einem schwarz-grünen Zwei-Mann-Bündnis im Passauer Stadtrat und "im Vorfeld durch Medien wie die Passauer Neue Presse und den BR vorbereitet". Die Journalisten, die auf den doch naheliegenden Widerspruch zwischen ihrem Maut-Debakel und einem mit der sachgerechten Verwendung von Steuermitteln zusammenhängenden Posten im Stadtrat aufmerksam machten, hätten "Bundespolitik und Kommunalpolitik unsachlich vermengt", beklagen Sie. Mehr noch: "Wenn sich Medien wie in diesem Fall zum Steigbügelhalter der Bösartigkeit machen, dann spielt das in die Hände von Extremisten, von Demokratiefeinden."

    Verstehe ich Sie richtig, sehr geehrter Herr Scheuer: Wer darauf hinweist, dass es mindestens 243 Millionen Gründe gibt, warum ausgerechnet Sie nicht in einem Rechnungsprüfungsausschuss sitzen sollten, der hilft etwa der AfD? Ernsthaft?

    Ist es nicht eher so, dass ein ehemaliger Spitzenpolitiker, der es bis heute nicht geschafft hat, zu seinen eigenen politischen Fehlleistungen zumindest zu stehen und der ganz offensichtlich im aktuellen Fall nicht einmal erkennen will, wo denn das Problem liegen könnte, Politikverdrossenheit und die Hinwendung viel zu vieler Wähler zu vermeintlichen politischen Wunderheilern fördert?

    "Nicht alles, was der Andi macht, ist hilfreich", stöhnte einst ein CSU-Spitzenmann in München. Vielleicht ist es deshalb gut, dass Sie jetzt auch noch Ihr Stadtratsmandat hingeschmissen haben. Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg bei Ihrer neuen beruflichen Ausrichtung samt den "internationalen Verpflichtungen". Machen Sie dabei keinen Unfug - dann werden Sie irgendwann auch von den lästigen Journalisten in Ruhe gelassen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Henry Stern, Landtagskorrespondent

    Persönliche Post: Der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Das ist ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. Ein Brief an eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.MP

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden