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Würzburg: Samstagsbrief: Frau Regionalbischöfin, die Missbrauchsstudie zeigt, dass die evangelische Kirche nicht besser ist

Würzburg

Samstagsbrief: Frau Regionalbischöfin, die Missbrauchsstudie zeigt, dass die evangelische Kirche nicht besser ist

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    Als Regionalbischöfin ist Gisela Bornowski verantwortlich für den Kirchenkreis Ansbach-Würzburg.
    Als Regionalbischöfin ist Gisela Bornowski verantwortlich für den Kirchenkreis Ansbach-Würzburg. Foto: Martina Mueller

    Sehr geehrte Regionalbischöfin Bornowski,

    Ende November haben wir in einem Interview über das Thema Missbrauch in der evangelischen Kirche gesprochen. Sie wirkten bei meiner Frage nach dem Ausmaß der sexualisierten Gewalt keineswegs beunruhigt. Sie betonten, Sie hätten in ihrer fast zehnjährigen Amtszeit keinen einzigen Pfarrer wegen eines Missbrauchsvorwurfs in Ihrem Kirchenkreis Ansbach-Würzburg suspendieren müssen.

    Sie erwähnten lediglich einen Erzieher in einem Kindergarten in Schweinfurt, der sofort aus dem Dienst genommen worden sei. Und zum 2019 bekannt gewordenen Fall eines Logopäden, der in einer Würzburger Einrichtung zahlreiche Kinder schwerst missbraucht hatte, sagten Sie, dass es sich bei dem Täter um keinen kirchlichen Mitarbeiter gehandelt hatte.

    Missbrauchsvorwürfe in Ihrem Kirchenkreis, in der Landeskirche Bayern? Das schien kein größeres Problem für Sie zu sein. Sehr verwundert zeigten Sie sich beim Hinweis, dass es seit Jahren heißt, die evangelische Kirche hinke der katholischen bei der Aufarbeitung hinterher. "Ich verstehe nicht, woher diese Ansicht kommt", erwiderten Sie.

    Missbrauchsstudie veröffentlicht: Nur scheinbar die sicherere Kirche

    Verstehen Sie es jetzt, nachdem in dieser Woche die Missbrauchsstudie der evangelischen Kirche und Diakonie veröffentlicht wurde? Können Sie sich weiter allein auf die "gute Bilanz" in Ihrem Kirchenkreis zurückziehen? Auf die laut Ihren Worten bayernweit seit Jahren etablierten Unterstützungsmaßnahmen für Betroffene?

    Seit Donnerstag steht die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) heftig in der Kritik. Das Ausmaß der sexualisierten Gewalt ist weit höher als vermutet. Das Ergebnis der Studie: mindestens 1259 Beschuldigte und 2225 Betroffene seit 1946. Zuvor ging die EKD von 858 Betroffenen aus.

    2010 wurde der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche bekannt. Seither hat sich die evangelische Kirche zurückgelehnt und den Eindruck erweckt, sie sei die bessere Kirche. Sie hat zugeschaut, wie der Skandal die katholische Kirche überrollte. "Wir haben ja kein Zölibat", war ein Argument dafür, dass es in der evangelischen Kirche sicherer sei für Kinder und Jugendliche. Weit gefehlt, Frau Regionalbischöfin.

    Die evangelische wie die katholische Kirche: Institutionen des Verschleierns

    Unfassbar ist zudem, dass es die EKD mit der Aufarbeitung nicht ernst zu meinen scheint. Übermittelt zur Auswertung wurden meist nicht – wie vereinbart – die aussagekräftigen Personalakten, sondern lediglich Details aus Disziplinarakten über Beschuldigte. Die Ausrede: Personalmangel. Nur eine von 20 Landeskirchen habe den Forschern Personalakten vorgelegt, hieß es. Sollte nicht herauskommen, wie viele Fälle es tatsächlich gibt?

    Den Forschern war somit klar, dass die ermittelten Zahlen nicht einmal die Spitze des Eisbergs darstellen. Laut einer Hochrechnung auf Basis der wenigen Personalakten könnten es laut den Forschern bundesweit 9355 Kinder und Jugendliche sein, die seit 1946 von evangelischen Vertretern sexuell missbraucht worden sind.

    Frau Bornowski, die Aufarbeitung ist längst nicht so gut, wie Sie mir bei unserem Gespräch vermitteln wollten. Laut dem Studienleiter sind die jetzt veröffentlichten Fälle unzureichend erfasst. Beim Thema Missbrauch ist die evangelische Kirche also nicht die offenere, die transparentere: Sie ist ebenfalls eine Institution des Verschleierns.

    Sexualisierte Gewalt "eine Form der Kreuzigung"

    Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, sprach bei der Vorstellung der Studie von der "perfiden Gewalt" der Täter, von eklatantem Versagen von Kirche und Diakonie. Sie, Frau Bornowski, haben 2022 in Schweinfurt bei der Eröffnung der Ausstellung "Nein zu Missbrauch und Gewalt" gesagt, sexualisierte Gewalt sei "eine Form der Kreuzigung". Solche Taten würden Leben, Seelen zerstören.

    Als langjährige Ansprechpartnerin der Landeskirche für Seelsorgegespräche haben Sie sicher erschütternde Einblicke erhalten. Nur so lässt sich Ihre Aussage von damals verstehen, dass Verdrängen, Verleugnen und Beschwichtigen nicht helfen würde. Es sei schwer für Betroffene, zu sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Opfer würden oft als Nestbeschmutzer dastehen.

    Das hört sich nicht anders an als in der katholischen Kirche. Auch dort fühlten und fühlen sich Betroffene als höchst lästige Bittsteller. Dies bestätigte mir erst vor wenigen Tagen wieder ein Betroffener am Telefon.

    Beim Thema Missbrauch bislang Kosmetik

    Frau Bornowski, was die evangelische Kirche bislang beim Thema Missbrauch unternommen hat, war vor allem eines: Kosmetik. Sie installierten zwar Ansprechstellen für Betroffene oder ein Präventionsteam. Aber eine Chance zu echter Aufarbeitung hätte die Studie geboten, die jedoch die Landeskirchen durch ihre katastrophal ablehnende Haltung gegenüber den Forschern torpediert haben.

    Für Ihren Kirchenkreis, Frau Regionalbischöfin, wünsche ich Ihnen, dass Sie bei unserem nächsten Gespräch wieder sagen können, dass Sie keinen Täter suspendieren mussten.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Christine Jeske, Redakteurin

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