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Würzburg: Samstagsbrief: Herr Bundesverkehrsminister Wissing, Ihre hartnäckige Ablehnung des Tempolimits überzeugt mich nicht

Würzburg

Samstagsbrief: Herr Bundesverkehrsminister Wissing, Ihre hartnäckige Ablehnung des Tempolimits überzeugt mich nicht

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    "Das wollen die Leute nicht." Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist weiter gegen ein Tempolimit auf der Autobahn.
    "Das wollen die Leute nicht." Bundesverkehrsminister Volker Wissing ist weiter gegen ein Tempolimit auf der Autobahn. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Sehr geehrter Herr Wissing,

    derzeit gibt es in der Politik so vieles, was ich nicht verstehe. Und viele Debatten dieser Tage - von Wärmepumpe bis Gendersternchen – zeigen mir, dass ich nicht der einzige bin, dem es so geht. Am aller unverständlichsten aber ist mir, dass es einer Bundesregierung mit Beteiligung der Grünen nicht gelingt, endlich ein allgemeines Tempolimit auf den deutschen Autobahnen einzuführen.

    Ich weiß, da gab es in den Koalitionsverhandlungen irgendeinen Kuhhandel – die Grünen verzichteten auf ihre Forderung nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung, damit die Ampel überhaupt zustande kam. Und natürlich weiß ich auch, dass Sie, Herr Bundesverkehrsminister, Mitglied der FDP sind, also in etwa das Gegenteil eines Grünen.

    Aber man muss nun wirklich kein Grüner sein, um die Argumente für ein Tempolimit ernstzunehmen: weniger Spritverbrauch, weniger Lärm, weniger Stress, besser fließender Verkehr, weniger schwere Unfälle, weniger Stickstoffoxide und Feinstaub. Und vor allem: weniger Treibhausgas, was bei Tempo 120 einer Einsparung von etwa 6,7 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr entsprechen würde. Sagt jedenfalls das Umweltbundesamt.

    Seit wann stehen ordnungspolitische Maßnahmen wie das Tempolimit zur Debatte, nur weil sie ein paar Leuten nicht gefallen könnten?

    Sie, Herr Wissing, bleiben aber bei Ihrer Ablehnung des Tempolimits und sagen einfach: "Da geistern so viele Zahlen rum." Und: "Das überzeugt mich nicht." Und: "Das wollen die Leute nicht." Und: "Wichtig ist doch, dass nur Maßnahmen, die akzeptiert werden, auch Erfolg haben können."

    Herr Minister, Ihre Ablehnung des Tempolimits überzeugt mich nicht. Woher wollen Sie denn so genau wissen, was die Leute wollen oder akzeptieren? Alle derzeit in den Medien zitierten Umfragen kommen zu einem anderen Ergebnis als Sie: Ein Tempolimit hätte eine klare Mehrheit.

    Seit wann stehen außerdem ordnungspolitische Maßnahmen zur Debatte, nur weil man denkt, ein paar Leuten könnten sie nicht so gefallen? Dann müsste man zum Beispiel augenblicklich aufhören, Steuern zu erheben.

    Der Effekt von Tempo 120 würde einer Einsparung von etwa 6,7 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr entsprechen, sagt das Umweltbundesamt.
    Der Effekt von Tempo 120 würde einer Einsparung von etwa 6,7 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr entsprechen, sagt das Umweltbundesamt. Foto: Carsten Rehder, dpa

    Einen – vorläufigen – Höhepunkt aber erreicht mein Unverständnis bei folgender Überlegung Ihrerseits: "Wenn sich zum Beispiel wegen eines Tempolimits auf der Autobahn der direkte Weg durch die Dörfer zeitlich wieder lohnt, werden die Anwohner mit Lärm belastet", zitiert Sie etwa "Zeit online". Über die Käffer zockeln, nur weil man auf der Autobahn "nur" 120 fahren darf? Muss man erstmal drauf kommen.

    Aber die Diskussion ums Tempolimit hat sich noch nie durch besondere Sachlichkeit ausgezeichnet. Interessanterweise sind es in meiner Wahrnehmung vor allem die Verkehrsminister, denen schnell die Argumente ausgehen. So wusste sich Ihr Vorgänger Andreas Scheuer 2019 nur noch mit der Behauptung zu helfen, ein Tempolimit sei "gegen jeden Menschenverstand".

    Wo kommt eigentlich die Vorstellung her, wir hätten es immer so eilig, dass uns schon ein paar Minuten mehr in Bedrängnis bringen würden?

    Wo kommt eigentlich die Vorstellung her, wir alle hätten es immer derart eilig, dass uns schon die paar Minuten in Bedrängnis bringen würden, die wir bei Tempo 120 pro 100 Kilometer verlieren würden? Immer vorausgesetzt natürlich, dass nicht sowieso Baustelle oder Stau oder beides ist. 

    Selten hat übrigens ein Slogan so danebengelegen wie "Freie Fahrt für freie Bürger". Blick man auf die wenigen anderen Länder der Welt ohne Tempolimit, unter ihnen Afghanistan, Somalia, Burkina Faso oder Nordkorea, wird schnell klar: Das Fehlen von Geschwindigkeitsbeschränkungen ist ganz sicher kein Kriterium für Freiheit.

    Es könnte so schön sein: Auf die Autobahn auffahren, Tempomat rein, entspannt dahinrollen und gelegentlich einen Laster überholen, ohne befürchten zu müssen, dass von hinten, aus der Tiefe des Raums, ein freier Bürger herangeschossen kommt. In Österreich, Italien, Frankreich oder der Schweiz geht das. Kaum fährt man dort über die Grenze, wird der Verkehr spürbar gelassener. 

    Für mich fängt auf der Fahrt in den Urlaub hier schon die Erholung an. Die geht bei der Rückkehr nach Deutschland dann schnell wieder flöten. Es erwartet mich auf jeden Fall dieses nervige Hin und Her zwischen Schnell, Langsam, Schnell, Langsam. Sehr geehrter Herr Wissing, meine Vorstellung von Freiheit sieht anders aus.

    Mit verständnislosen Grüßen

    Mathias Wiedemann, Redakteur

    Persönliche Post: der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.MP

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