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Schweinfurt: Samstagsbrief: Herr Ernst, Ihr Verhalten ist demokratieverachtend und ein Schlag ins Gesicht der Menschen in der Ukraine!

Schweinfurt

Samstagsbrief: Herr Ernst, Ihr Verhalten ist demokratieverachtend und ein Schlag ins Gesicht der Menschen in der Ukraine!

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    Am Freitag sprach der Schweinfurter Klaus Ernst (BSW) im Bundestag zum Atomausstieg und einem etwaigen Untersuchungsausschuss. Bei der Rede Selenskyjs hatte er wie alle BSW-Abgeordneten gefehlt. 
    Am Freitag sprach der Schweinfurter Klaus Ernst (BSW) im Bundestag zum Atomausstieg und einem etwaigen Untersuchungsausschuss. Bei der Rede Selenskyjs hatte er wie alle BSW-Abgeordneten gefehlt.  Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

    Sehr geehrter Herr Ernst,

    es kommt nicht häufig vor, aber manchmal verschlägt es sogar erfahrenen Journalisten die Sprache. Dann ringt man nach Worten für das, was man gerade beobachtet hat.

    So ging es mir diese Woche nach Ihrem Affront im Bundestag. Ein Nicht-Auftritt, der in moralische Abgründe blicken lässt. Falls Sie schon an dieser Stelle einwenden wollen, ob es nicht eine Nummer kleiner gehe: Nein, geht es nicht.

    Erste Rede von Selenskyj in Präsenz im deutschen Bundestag

    Seit über zwei Jahren kämpft ein ukrainischer Präsident gemeinsam mit seinem Volk gegen den Dauerbeschuss aus Russland, verteidigt das Land und die Freiheit Europas unter großen Opfern gegen die Invasoren. Auch dank deutscher Hilfe ist es gelungen, die Ukraine bis jetzt am Leben zu erhalten.

    Dann kommt Wolodymyr Selenskyj zu seiner ersten Rede in den deutschen Bundestag – und was tun Sie, zusammen mit Ihrer Wagenknecht-Gruppe und der AfD? Boykottieren den Auftritt fast geschlossen durch Fernbleiben. Selenskyjs Dank für die deutsche Solidarität, seine Bitte um weitere Unterstützung – interessiert Sie nicht, oder zumindest wollen Sie genau diesen Eindruck vermitteln. Es geht um die Provokation.

    Doch was für eine Verachtung spricht aus solcher Geste! Verachtung gegenüber dem ukrainischen Volk, seinem Präsidenten und: unserer Demokratie. Herr Ernst, Sie werden als Abgeordneter gewählt, um im Parlament zuzuhören, zu debattieren – nicht, um davonzulaufen. Demokratie braucht die konstruktive Auseinandersetzung in der Sache, den Streit mit Argumenten und: Respekt.

    Stattdessen versuchen Sie mit Ihrem Bündnis genau wie die AfD, politisches Kapital aus einer vorhandenen Kriegs- und Krisenmüdigkeit in der Bevölkerung zu schlagen. Wie billig. Aber so ticken Populisten, egal ob sie von rechts oder links kommen. Deren Gemeinsamkeit haben Sie diese Woche ebenso eindrucksvoll unter Beweis gestellt wie Ihre Nähe zu Russland.

    Selenkskyj als "Kriegstreiber"? BSW und AfD betreiben eine Schuldumkehr

    Im Ernst, Herr Ernst: Wer wünschte sich nicht einen sofortigen Waffenstillstand und einen schnellen Frieden in der Ukraine? Nur: Sie können ihn nicht bestellen, so schön das wäre. Weil der Diktator im Kreml bisher keinerlei Anstalten macht, seinen Angriffskrieg zu stoppen. Unterdessen betreiben Sie eine Schuldumkehr, stellen Selenskyj auf bizarre Weise als Kriegstreiber hin. Geht's noch?

    In Moskau wurde vermutlich die nächste Flasche Krimsekt geköpft. Putin kann auf seine Versteher im Westen zählen. Glückwunsch! Für die leidgeplagte Ukraine, für die Soldaten an der Front, ist Ihr Verhalten und das der anderen Boykotteure ein Schlag ins Gesicht.

    Was mich fast noch mehr verstört als die leeren Sitze im Bundestag, sind Ihre späteren Erklärungen zu dieser Aktion. Sie wollten sich nicht, sagten Sie, "zum Klatschen gezwungen fühlen für jemanden, der Deutschland – Europa – in einen weiteren Weltkrieg treibt. Da habe ich keine Lust zu". Aber Sie haben ein Mandat, das in der parlamentarischen Demokratie eben nicht nach Lust und Laune auszuüben ist.

    "Lust"...? Nicht nur die Wortwahl ist despektierlich: Was für eine Anmaßung streckt hinter der Behauptung, Selenskyj vertrete nicht mehr die Mehrheit der Ukrainer? Sie bräuchten sich seine Rede nicht anhören, weil "seine einseitige Position in dieser Frage nicht mehr von vielen Ukrainern geteilt wird", sagten Sie. Sie selbst also kennen den politischen Willen im Land? Herr Ernst, das ist überheblich und selbstgefällig.

    Ihr Fernbleiben im Bundestag zeugt von Feigheit 

    Sie haben mit Ihrem Boykott einen unappetitlichen Schulterschluss mit der AfD vollzogen, deren Fraktionschefs von "Wiederaufbaubettelei" faseln und Selenskyj als "Redner im Tarnanzug" abkanzeln. Wenn Sie schon Augen und Ohren verschließen: Hätten Sie und die anderen Provokateure doch gleich noch den Mund dazugenommen.

    Ich bilde mir ja ein, an das Gute in allen Menschen zu glauben – auch wenn sie mich irritieren oder nerven. Erlauben Sie deshalb einen Versuch: Könnte es sein, Herr Ernst, dass Sie und die anderen Boykotteure einfach nur Angst hatten? Angst vor der eigenen Reaktion? Angst vor dem Mitgefühl, das einer wie Wolodymyr Selenskyj auslösen könnte?

    Angst, ihm in die Augen zu schauen und "Nein" zu sagen? Sorge, dass Sie die Eindringlichkeit seiner Worte am Ende doch erreichen und Sie sich seiner Bitte um weitere Unterstützung nicht entziehen könnten? Das wäre eine Erklärung. Feige bliebe Ihr Verhalten trotzdem.

    Es grüßt Sie aus der Redaktion,

    Andreas Jungbauer, Redakteur

    Persönliche Post: der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.Quelle: aj

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