Sehr geehrter Herr Schröder,
Männerfreundschaften sind etwas ganz besonderes. Man(n) kennt sich oft viele Jahre, geht durch dick und dünn. Und selbst wenn man sich lange nicht gesehen hat, dauert es höchstens eine Flasche Bier, bis sich diese ganz besondere Vertrautheit wieder einstellt. Man sagt ja auch: Mit dem besten Freund kann man viele Stunden schweigend am Tresen verbringen und am Ende sagen, dass es der beste Abend seit langem war. Ihr Schweigen gegenüber einem Ihrer guten Freunde, Herr Schröder, ist allerdings eine Schande!

Ich spreche von Ihrem guten Freund Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, der in dieser Woche die Ukraine, ein souveränes Land, überfallen hat. Den Mann, den Sie einst einen "lupenreinen Demokraten" genannt haben. Jahrelang haben Sie ihm die Stange gehalten, sind mit ihm also durch dick und dünn gegangen. Egal, ob Putin Menschenrechte verletzt, Widersacher eliminiert, sein Volk durch eine nie dagewesene Fake-News-Strategie an der Nase herumgeführt, Oppositionelle wegsperrt, Journalisten mundtot gemacht oder Wahlen gefälscht hat: Auf Gerhard Schröder konnte sich der Despot im Kreml immer verlassen.
Zuverlässig haben Sie die putinschen Narrative in die deutsche Öffentlichkeit transportiert. Etwa als Sie vor dem russischen Angriff auf die Ukraine die Forderung Kiews nach Waffenlieferungen als "Säbelrasseln" bezeichnet oder der Nato eine Mitschuld am russischen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze gegeben haben. Selbst als das Unfassbare Realität wurde und Putin sein Militär zur Eroberung der Ukraine ausgesandt hatte, rangen Sie sich gerade einmal dazu durch, im Netzwerk LinkedIn zu schreiben, dass der Krieg "schnellstmöglich beendet werden" müsse. Und dass das "die Verantwortung der russischen Regierung" sei, schrieben Sie – nicht ohne eine verharmlosende Erklärung für die russische Aggression nachzuschieben: "Aber auch Sicherheitsinteressen Russlands rechtfertigen nicht den Einsatz militärischer Mittel."

Glauben Sie wirklich, dass es Putin um Sicherheit geht? Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber aus meiner Sicht stellen Sie sich bereitwillig als Figur des russischen Staatstheaters zur Verfügung. Natürlich nicht, ohne davon zu profitieren: Als Aufsichtsratschef des staatlichen russischen Ölkonzerns Rosneft sollen Sie jährlich 600 000 Euro kassieren. Bald sollen Sie auch dem Aufsichtsrat des Erdgaskonzerns Gazprom angehören. Außerdem haben Sie nicht unbedeutende Funktionen bei den Betreibergesellschaften der Erdgaspipelines Nord Stream und Nord Stream 2.
Wissen Sie was ein starkes Zeichen wäre, Herr Schröder? Kein bedeutungs- wie wirkungsloser Post bei LinkedIn, sondern Ihr Rückzug aus all Ihren oben genannten Posten. Schmeißen Sie hin bei Rosneft und Nord Stream, geben Sie Gazprom einen Korb. Dass das geht, hat in dieser Woche der frühere österreichische Kanzler Christian Kern gezeigt: Er trat als Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn RZD zurück.

Aber ich fürchte, Sie haben sich längst entschieden, Herr Schröder. Anscheinend wollen Sie sich nicht friedenstiftend einbringen. Es spricht aus meiner Sicht nicht viel dagegen, dass auch Sie als Teil von Putins PR-Maschinerie in naher Zukunft von den EU-Sanktionen gegen Unterstützer des russischen Regimes betroffen sein sollten.
Es sei noch einmal festgehalten: Anstatt sich als Lobbyist für russische Energiekonzerne und Putins Interessen einzusetzen, hätten Sie sich dank Ihrer Männerfreundschaft zum russischen Präsidenten bei ihm als Lobbyist für Demokratie und Frieden stark machen können. Das haben Sie nicht getan, Sie haben geschwiegen und damit auch dem Amt des Bundeskanzlers Schaden zugefügt.

Geradezu grotesk wurde es wenige Tage vor dem russischen Einmarsch. "Viele haben sich bei mir gemeldet, ob mein Mann nicht mit Herrn Putin über die Ukrain-Krise reden könnte", postete Ihre Frau bei Instagram, wo Sie beide sehr aktiv sind. "Das ginge nur, wenn die Bundesregierung das ernsthaft wollte. Davon ist aber nicht auszugehen." Kurz darauf wurde der Post wieder gelöscht.
Mal im Ernst, Herr Schröder: Nicht nur, dass Ihre Frau zwischen pittoresken Pflanzenfotos und Bildern des schröderschen Pärchen-Glücks in Pressesprechermanier dieses Thema anschneidet –brauchen Sie wirklich grünes Licht der Bundesregierung, um einem Freund zu sagen, dass er gerade Mist baut?
Auch wenn Sie mit 77 Jahren ein gutes Stück älter sind als ich, Herr Schröder, gestatten Sie mir einen Rat: Seine Freunde kann man sich aussuchen.
Benjamin Stahl, Redakteur
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