Lieber Herr Rother,
es muss ein tolles Gefühl für Sie sein, dass die Menschen in Ihrem Winterhausen so fulminant hinter Ihnen stehen. Das jedenfalls lässt sich aus der Solidaritätsaktion für Ihre Dorfbäckerei schließen, die vor einer Woche über den Ort im Kreis Würzburg hinaus für Aufsehen gesorgt hat. Eine tolle Sache.
Blasmusik spielt vor Ihrem Geschäft, mehrere Hundert Menschen kommen auch aus Nachbarorten, um ein Zeichen gegen die vielleicht unausweichliche Schließung Ihrer Bäckerei zu setzen – so viel Zuspruch macht Mut.

Das ist wichtig in diesen heiklen Zeiten. Denn hinter der Solidaritätsaktion in Winterhausen steckt etwas Grundsätzliches. Es geht um einen ehrenwerten Beruf, um das Handwerk, um das Leben auf dem Land und schlichtweg um unser Essen. Ihre Bäckerei ist bekannt dafür, dass dort die Backwaren Handarbeit sind.
"Ich kann nicht mehr wirtschaftlich arbeiten, ich verbrenne im Moment jeden Tag richtig Geld": Das haben Sie, Herr Rother, gesagt. Ihre brisante Lage kennen andere Dorfbäcker auch: Erdrückend sind die Energie- und Rohstoffpreise, erdrückend ist die Konkurrenz der vielen Filialbäckereien und der Aufbackstationen der Discounter. Und dann noch ein Job mit Arbeitszeiten, die nun wirklich nicht prickelnd sind.
Das Problem: Mehl und Strom um ein Vielfaches teurer geworden
Wenige Ortschaften weiter, mainaufwärts im Landkreis Würzburg, hat zum Beispiel Ihr Kollege Günther Stephan zuletzt die Lage der Branche verdeutlicht: Seine Bäckerei in Frickenhausen muss mit der Verdopplung des Mehlpreises klarkommen. Dazu hat er Abschlagszahlungen beim Strom von bald 1750 statt bisher 700 Euro.
Das wird Ihnen nicht anders gehen, Herr Rother. Klar ist auch, dass Sie Ihre Kosten nicht eins zu eins weitergeben können. 10 Euro fürs Brot oder 90 Cent statt bislang 45 Cent fürs Brötchen, das macht die Kundschaft nicht mit.
Winterhausen und andere Orte: Infrastruktur auf dem Land wird immer dünner
Die Bäckereien auf dem Land sterben aus, Gastwirtschaften, Metzgereien und Tante-Emma-Läden ebenfalls. Auch Winterhausen hat an Infrastruktur verloren. Bei Ihnen nebenan hat vor Monaten die Sparkasse dichtgemacht, wenige hundert Meter weiter die Volksbank. Und: Früher gab es mitten in Winterhausen mal eine Metzgerei. Ebenfalls verschwunden.
Nicht anders sieht es im kaum kleineren Nachbarort Goßmannsdorf aus: Zwei Bäckereien, eine Metzgerei, ein Schuhmacher, ein Gemischtwarenladen, zwei Bankfilialen und drei Gasthäuser – alles vor nicht allzu langer Zeit sukzessive verschwunden. Das ist das Schicksal vieler Dörfer in der Region. Leider.
Wie wäre es mit einer Genossenschaft für die Bäckerei?
Nostalgie hilft freilich nicht weiter. Wenn wirtschaftliche Zwänge zum Handeln zwingen, dann ist das der Lauf der Dinge. Dann muss ein Unternehmer Unternehmer sein und nicht der Wohlfahrtsverband. Wenn aber wie jetzt in Winterhausen viele Menschen auf die Straße gehen, um für den Verbleib Ihrer Dorfbäckerei einzustehen, dann bekommt das jenseits der Kostenkalkulation ein anderes Gewicht.
Vor Ihrer Bäckerei wurde nicht nur gesellig in die Trompeten geblasen, sondern auch an die Zukunft gedacht. Wie wäre es, die Zuneigung Ihrer Kundschaft in einer Genossenschaft für den Weiterbetrieb zu bündeln? Diese Idee machte beim Solidaritätstreffen vergangene Woche in Winterhausen die Runde. Die Genossenschaft betreibt den Laden, Sie arbeiten dort als angestellter Chef: Wie wär's, Herr Rother?
Die Idee erinnert an manche Dorfläden in Mainfranken, hinter denen mitunter solche Genossenschaften stehen und die sehr wertvoll für die Infrastruktur auf dem Land sein können. Solche Konstellationen machen den aktuellen Kostendruck nicht geringer, aber sie verteilen ihn auf mehr Schultern. Nebenbei: Die Menschen in Winterhausen können dann beweisen, wie ernst sie es letztendlich mit ihrer Soli-Aktion vor einigen Tagen gemeint haben.
Ein Kapital für den ganze Ort - und fürs Dorfleben
Herr Rother, vor fünf Jahren übernahmen Sie die damals schon vor der endgültigen Schließung stehende "Bäckerei Fuchs" in Winterhausen, in der Sie bis dahin als Angestellter gearbeitet hatten. Sie haben damit ein wichtiges Stück Dorfleben gerettet. Das ist ein Kapital, das in keiner Ihrer Bilanzen auftaucht. Aber es ist ein Kapital für den Ort. Eines, das ein Zeichen setzt.
Lassen Sie sich also mit diesen Zeilen bei Ihrer Ehre und Ihrem Ehrgeiz packen. Machen Sie weiter. Irgendwie. Schließlich sagten Sie vor fünf Jahren beim Start in die Selbstständigkeit: "Warum weggehen, wenn ich hier alles habe?" Geben Sie dieser Liebeserklärung an Beruf und Region neuen Schwung. Gut möglich, dass Sie damit andere Dorfbäcker anstecken. Es wäre jedenfalls zu wünschen.
Mit hoffnungsvollen Grüßen,
Jürgen Haug-Peichl, Redakteur
Persönliche Post: der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.MP