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Würzburg: Samstagsbrief: Ihre Flucht von der Bühne hatte Klasse, Helge Schneider!

Würzburg

Samstagsbrief: Ihre Flucht von der Bühne hatte Klasse, Helge Schneider!

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    Der Musiker und Entertainer Helge Schneider, hier im Februar 2019 bei einem Auftritt im Würzburger Congress Centrum, hat vergangenen Sonntag in Augsburg ein Konzert abgebrochen.
    Der Musiker und Entertainer Helge Schneider, hier im Februar 2019 bei einem Auftritt im Würzburger Congress Centrum, hat vergangenen Sonntag in Augsburg ein Konzert abgebrochen. Foto: Archivfoto: Silvia Gralla

    Lieber Helge Schneider, ich bin – um das gleich vorweg zu sagen – kein glühender Verehrer Ihrer Kunst und Ihres Humors. Und ich dachte zunächst: Dieser unvermittelte Abgang von der Bühne in Augsburg sei wieder Teil einer dieser seltsamen Inszenierungen gewesen, wie Sie sie schon häufiger in Ihr Programm eingebaut haben. Aber dann kam dieser Tage die Meldung, Sie hätten alle weiteren Konzerte in diesem Zyklus ebenfalls abgesagt. Da war mir klar: Der Mann meint es diesmal wirklich ernst.

    Vor vielen Jahren bin ich Ihnen einmal in Berlin begegnet. Sie standen vor dem Hotel Adlon mit einer bunt getönten Sonnenbrille, durch die Sie die Welt in anderen Farben sahen. Passt ja, dachte ich. Ein schräger Vogel waren Sie schon immer, aber ohne diese schrägen Vögel wäre unsere Welt nun mal verdammt geradlinig.

    Helge Schneider bezeichnet sich selbst als "systemrelevanten Außenseiter"

    Kurz vor Ihrem Konzert in Augsburg, bei dem Sie am Freitag vor einer Woche nach gut einer halben Stunde die Bühne verließen, haben Sie sich in einem Interview als "systemrelevanter Außenseiter" bezeichnet – als einer, der von außen kommt und etwas anderes reinbringt als das, was man sonst auf dem Tisch hat. Im Nachhinein liest es sich wie die perfekte Bewerbungsrede für das, was wenige Tage später folgte - und damit meine ich nicht Ihr neues Album "Die Reaktion".

    Ich saß nicht im Publikum, sondern habe mir das YouTube-Video Ihres Auftritts – oder besser: Ihres Abgangs – angesehen. Und ich muss sagen: Das hatte was. Das hatte Konsequenz und Rückgrat. Die Quer- und Nichtdenker in diesem Land mögen mir verzeihen, dass ich die Aktion nicht so sehe wie sie: als Aufruf nämlich, die Maskenpflicht abzuschaffen. Das war es – bitte korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege – ganz sicher nicht.

    Wenn ich es richtig verstanden habe, fühlten Sie sich genervt und behindert von dem wie Bienen vor der Bühne herumschwirrenden Servicepersonal sowie von Leuten, die ständig das Katzenklo suchten - und von dem dadurch entstehenden Kontaktverlust zu Ihren Zuschauern. Irgendwann war dann auch der letzte Funke erloschen, der zwischen Ihnen und Ihrem Publikum überspringen sollte. Man sollte Ihnen Girlanden flechten für Ihre aufrichtige Haltung; Sie zeigt, dass Ihnen an einer guten Performance mehr liegt als daran, Kasse zu machen. Sie hätten die Zeit auch aussitzen können.

    Sie fühlten sich in der Pandemie zur "Sache" degradiert

    Ich kann verstehen, dass es für einen Improvisationskünstler, der wie Sie von der Interaktion lebt, nicht leicht ist, einen Zugang zum Publikum zu finden, das sich in großem Abstand in Strandkörben verkriecht. Dann lieber – in Anlehnung an einen FDP-Vorsitzenden, der sich einst vor der Regierungsverantwortung drückte – lieber gar nicht auftreten als falsch auftreten.

    Mit seiner experimentellen Kunst können nicht alle etwas anfangen: Helge Schneider bei einem Auftritt 2017 in Volkach (Lkr. Kitzingen).
    Mit seiner experimentellen Kunst können nicht alle etwas anfangen: Helge Schneider bei einem Auftritt 2017 in Volkach (Lkr. Kitzingen). Foto: Archivfoto: Hans Will

    Monatelang hatten Kunst- und Kulturschaffende in Deutschland auf ein Signal der Wiederauferstehung gewartet, auf eine Perspektive, auf ein Licht am Ende des Tunnels. Sie selbst, so sagten Sie, fühlten sich in der Pandemie zur "Sache" degradiert, zur "Terminware"; hin- und hergeschoben, erst Zusage, dann Absage, dann wieder Zusage.

    All diese Wirren, all die Düsternis sollten mit dem Sommer verschwinden. Aber erstens ist dieser Sommer bislang kein Sommer, und zweitens hat man sich wohl zu viel versprochen von der Öffnungsdiskussionsorgie. Es gibt wieder Konzerte, ja, aber sie fühlen sich an wie ein Picknick auf dem Mond, bei dem die Musik auf der Erde spielt. So fern, so irreal, so weit weg von den alten Zeiten. Nix mit Ekstase und Fitze Fitze Fatze. Eher fixe Faxen, die so keiner mehr versteht.

    Dass Ihnen da der Kragen platzt - geschenkt!

    Wie müssen Sie sich da vorne gefühlt haben? Wie ein Lehrer im Homeschooling, der versucht, seinen Unterrichtsstoff zu vermitteln? Oder wie ein Pfarrer, der von der Kanzel herab predigt? Die Leute in Augsburg saßen da wie im heimischen Wohnzimmer vor dem Fernseher – und so weit weg vom Publikum muss es sich für Sie auch angefühlt haben. Ein Konzert ist kein Konzert mehr, wenn die Leute in einer abgegrenzten Box wie angewurzelt stehen müssen - oder eben in enge Strandkörbe gepfercht werden, damit sie bloß stillhalten. Dass einem da der Kragen platzt – geschenkt.

    Wieso Getestete und Geimpfte sich bei Open-Air-Konzerten nicht frei bewegen dürfen wie die Touristinnen und Touristen auf den schicken Flaniermeilen an der Ostsee oder die Fans im Fußballstadion, darf man gerne fragen. Ach, was heißt hier fragen. Mir geht das ziemlich auf den Sack. Da habe ich keine Lust mehr. Ich breche diesen Brief an dieser Stelle ab. Es tut mir sehr leid, aber das macht so keinen Spaß mehr. Vielleicht ändert sich in nächster Zeit noch was. Ich höre an dieser Stelle auf. Dankeschön.

    Mit vielen herzlichen Grüßen

    Eike Lenz, Redakteur

    Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.Quelle: MP

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