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Würzburg: Samstagsbrief: Jugendliche sollten ihre Zukunft mitgestalten und ab 16 Jahren wählen dürfen, Frau Aigner!

Würzburg

Samstagsbrief: Jugendliche sollten ihre Zukunft mitgestalten und ab 16 Jahren wählen dürfen, Frau Aigner!

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    Es gibt viele gute Gründe, warum Jugendliche schon mit 16 wählen sollten. Die CSU und Landtagspräsidentin Ilse Aigner sprechen sich jedoch dagegen aus.
    Es gibt viele gute Gründe, warum Jugendliche schon mit 16 wählen sollten. Die CSU und Landtagspräsidentin Ilse Aigner sprechen sich jedoch dagegen aus. Foto: Lennart Preiss/dpa

    Sehr geehrte Frau Aigner,

    ich war 16 Jahre und 10 Monate alt, als ich die Demokratie gerettet habe. So hat es sich für mich jedenfalls angefühlt, als ich das erste Mal in meinem Leben wählen durfte. Damals, bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen 2009, war die Demokratie in Deutschland zwar nicht ernsthaft in Gefahr. Aber ich war stolz wie Bolle, meinen Beitrag leisten zu dürfen.

    Frühzeitig habe ich mir Briefwahlunterlagen besorgt und mich über die Kandidatinnen und Kandidaten in meinem Ort informiert. Viele von ihnen kannte ich persönlich, als Nachbarn, aus Vereinen, als Bekannte meiner Eltern oder Großeltern von Freunden. Ich habe lange überlegt, bevor ich meine Kreuzchen gesetzt habe. Nicht zu wählen - das war für mich keine Option. Ich habe mein Wahlrecht zelebriert, liebe Frau Aigner, habe die Stimmzettel sorgfältig eingetütet und persönlich zum Briefkasten gebracht.

    Warum sperrt sich die CSU gegen einen Vorstoß, den viele andere Parteien unterstützen?

    In NRW, wo ich aufgewachsen bin, liegt das Wahlalter für die Kommunalwahlen seit 1999 bei 16. Viele Bundesländer handhaben das so, in Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein dürfen Jugendliche ab 16 sogar bei den Landtagswahlen abstimmen.

    Aber in Bayern beginnt Mitbestimmung erst mit 18, vorher sind junge Menschen von der Kommunal- und Landtagswahl ausgeschlossen. Viele Jugendorganisationen, Verbände und Parteien würden das gerne ändern. Die Initiative "Vote16" versucht gerade, ein Volksbegehren zum Wahlrecht ab 16 auf den Weg zu bringen.

    Doch gerade Ihre CSU, liebe Frau Aigner, sperrt sich. Mit 16 sei man noch nicht reif genug, mit 18 erst voll geschäftsfähig und voll strafmündig. Es gehe in dieser Frage um Konsistenz in der Rechtsordnung, sagte dazu ihr Parteikollege Tobias Reiß, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landtagsfraktion, gerade in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

    Nicht-Wähler gibt es in jeder Altersgruppe

    Mit 16 und 17 treffen junge Menschen große Lebensentscheidungen. Welchen Beruf will ich lernen, welchen Schulabschluss machen? Mache ich den Rollerführerschein oder nehme ich gleich Fahrstunden im Auto? Gehe ich zur Firmung? Wie viel Bier kann ich trinken, ohne dass Mama etwas merkt, wenn sie mich vom Schützenfest abholt? Ich habe damals die Briefwahl genutzt, weil ich kurz vor dem Wahltag für ein Jahr als Austauschschülerin in die USA geflogen bin. Auch eine Lebensentscheidung, für die ich reif genug war. 

    Frau Aigner, in einem Interview mit dem Main-Echo haben sie im vergangenen Jahr gesagt, wenn das Wahlalter 16 eine gute Idee wäre, dann müsse die Wahlbeteiligung bei den 18-Jährigen ja "dramatisch hoch" sein, das könnten sie so aber nicht erkennen. Dieser Logik kann ich nicht folgen.

    Wenn die Wahlbeteiligung bei den 65-Jährigen dramatisch sänke, würden wir dann allen über 65 das Wahlrecht nehmen? Mal ehrlich, Frau Aigner, Nicht-Wähler und ignorante Menschen gibt es doch in jeder Altersklasse. 

    Argumente wie dieses lassen mich daran zweifeln, ob Ihre Partei das Wahlrecht ab 16 wirklich aus juristischen oder entwicklungspädagogischen Gründen ablehnt – oder weil sie Sorge hat, dass junge Leute alles außer der CSU wählen würden. Hätten bei der Landtagswahl 2018 nur Menschen unter 30 Jahren gewählt, dann hätte Ihre Partei nach Einschätzung verschiedener Meinungsforschungsinstitute wohl rund 28 Prozent bekommen statt 37. Profitiert hätten die Grünen: mit bis zu 22 Prozent statt 17,5.

    Wählen heißt, Zukunft zu gestalten

    Für die Europawahl 2024 hat der Bundestag das Wahlalter auf Vorschlag des EU-Parlaments bereits auf 16 abgesenkt. Ein guter Schritt, wie ich finde. Dass Jugendliche nun auf Europa-Ebene abstimmen dürfen, nicht aber über den Bürgermeister ihrer eigenen Gemeinde oder die Landtagsabgeordneten, die im Parlament entscheiden, wie viel Geld für die Digitalisierung ihrer Schulen zur Verfügung steht– das ist doch logisch nicht zu erklären.

    Ich möchte meine erste Demokratie-Erfahrung aus dem Jahr 2009 nicht missen. Seitdem habe ich bei jeder Wahl von meinem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Heute sind die 16-Jährigen viel politischer, als ich es damals war, und gehen zum Beispiel für den Klimaschutz auf die Straße. Und sie sind noch schlechter repräsentiert, als ich es vor 14 Jahren war. Denn der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung steigt, die Stimmen der jungen Wählerinnen und Wähler fallen also immer weniger ins Gewicht.

    Liebe Frau Aigner, wer wählt, entscheidet über die Zukunft, als langjährige Politikerin und Landtagspräsidentin wissen Sie das am Besten. Also, warum dürfen die, die am längsten in dieser Zukunft leben werden, nicht mitentscheiden?

    Mit freundlichen Grüßen,

    Carolin Schulte, Redakteurin

    Persönliche Post: Der "Samstagsbrief"Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.MP

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