Sehr geehrter Herr Knauf,
mit Ihrem Nachnamen verbinden die Leute die "Gipskönige" aus Iphofen, eine der reichsten Familien Deutschlands, die ein riesiges Baustoff-Imperium errichtet hat. Sie persönlich sind in Unterfranken und weit darüber hinaus bekannt als findiger Geschäftsmann und graue Eminenz Ihres Konzerns – weniger jedoch als Honorarkonsul der Russischen Föderation. Dabei sind das keine völlig getrennten Welten, oder?
Die Aktivitäten Ihrer Firma in Russland haben schließlich keine unbedeutende Rolle auf Ihrem Weg zum Erfolg gespielt. Schon seit 30 Jahren investiert Knauf dort im großen Stil; es gibt mehr als ein Dutzend russischer Niederlassungen. Und Ihr guter Draht zur russischen Politik hat dabei sicher nicht geschadet.
Das Ende einer Männer-Freundschaft?
Zu Beginn dieser Woche verkündeten Sie aber, dass Sie Ihr Ehrenamt als Konsul an den Nagel hängen. Den Grund nannten Sie leider nicht. Nun braucht es jedoch nicht viel Fantasie, um darauf zu kommen, dass Putins brutaler Krieg gegen die Ukraine der Anlass gewesen sein dürfte, dieses Amt aufzugeben. Doch es wäre spannend, von Ihnen selbst zu hören, wie Sie zu der Entscheidung gekommen sind. Immerhin waren Sie über 20 Jahre lang im Auftrag Moskaus tätig – und Medien sagen Ihnen ein freundschaftliches Verhältnis zu Präsident Putin nach. Ist diese Freundschaft nun vorbei? Oder wollten Sie nur möglichen Schaden von Ihrem Unternehmen abwenden?

Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Knauf: Ich halte Ihren Schritt für absolut richtig, aber eben auch für überfällig. Warum erst jetzt? Ob Unterdrückung der Pressefreiheit, Annexion der Krim oder die Vergiftung des Oppositionellen Nawalny: Gründe hat Wladimir Putin im Laufe der Jahre genug geboten, um von seinem autokratischen Regierungsstil reichlich Abstand zu nehmen. Aber gut, besser spät als nie.
Kein Rückzug von Knauf aus Russland
Trotzdem hätten Sie Ihren Rücktritt aus meiner Sicht nutzen können, um zumindest ein kleines Zeichen des Widerstands nach Moskau zu schicken. Ihr Ex-Kollege Klaus Mangold, Aufsichtsratschef von Knorr-Bremse, hat das getan. Er ist in diesen Tagen ebenfalls von seinem Amt als russischer Honorarkonsul zurückgetreten und hat den russischen Präsidenten öffentlich aufgefordert, den Krieg zu beenden. Möglicherweise bringen solche Gesten rein gar nichts, möglicherweise zuckt Putin nur müde mit den Schultern, wenn er das hört. Doch ist es angesichts der dramatischen Situation in der Ukraine nicht das Mindeste, Farbe zu bekennen?
Während der Zeigefinger aus dem Westen den russischen Machthaber vermutlich eher kalt lässt, machen ihm die Sanktionen erheblich zu schaffen. Und dann sind da noch die großen Unternehmen, die den Druck erhöhen, indem sie ihre Geschäfte in Russland auf Eis legen. Volkswagen, Ikea, Siemens: Die Liste ist mittlerweile lang – und sie wird immer länger. Aus Ihrem Unternehmen hieß es in dieser Woche dagegen, dass ein Rückzug aus Russland aktuell nicht ansteht.
Verzwickte Lage
Die Begründung dafür war, dass Knauf Russland mit Baustoffen zur Herstellung dort "dringend benötigter Wohnungen" versorge. Nun, dieses Argument klingt für mich etwas befremdlich vor dem Hintergrund, dass es – anders als in Russland – in der Ukraine gerade leider nicht darum geht, neue Häuser zu bauen, sondern die Leute fürchten müssen, dass ihre Heime von Panzern oder bei Luftangriffen zerstört werden.
Es ist verzwickt, Herr Knauf. Das verstehe ich. Profite dürfen in diesen Tagen nicht der Grund dafür sein, dass Firmen weitermachen als wäre nichts. Gleichzeitig ist aber klar: Russland ist nicht Putin. Es darf nicht unser Ziel sein, die Zivilbevölkerung für die Untaten ihres Diktators zu bestrafen. Ich bin selbst unschlüssig, ob es die Leute nicht sogar in die Arme Putins treibt, wenn westliche Unternehmen von heute auf morgen Fabriken schließen und etliche Russinnen und Russen dadurch ihre Jobs verlieren.
Die Lügen Putins benennen
Was also tun? Ich finde, die Menschen müssen zumindest die Chance erhalten, trotz Staatspropaganda und Zensur mitzubekommen, was in Russland und der Ukraine wirklich vor sich geht. Das steht in der Macht Ihres Unternehmens, Herr Knauf. Wenn Sie die Geschäfte in Russland nicht einstellen, können Sie mit den 3900 russischen Angestellten wenigstens ehrlich sein und die Lügen Putins als solche benennen.
Ich weiß, aus operativen Geschäften haben Sie sich offiziell zurückgezogen. Aber noch vergangenes Jahr sagten Sie zu einem Reporter dieser Redaktion in einem Gespräch anlässlich ihres 85. Geburtstags: "Seien Sie versichert, dass hier keine Million rausgeht, ohne dass ich es weiß." Da es hier um deutlich mehr als eine Menge Geld geht, können Sie sicherlich auch auf diese Entscheidung noch Einfluss ausüben. Als Sie ihren Rücktritt als Konsul bekanntgaben, hieß es in der Pressemitteilung immerhin, es sei Ihnen in diesem Amt immer wichtig gewesen, "Brücken zu bauen zwischen Menschen in Deutschland und Russland". Hören Sie damit jetzt nicht auf, Herr Knauf!
Mit freundlichen Grüßen
Corbinian Wildmeister, Redakteur
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