Sehr geehrte Dagmar Wirth,
ich schreibe Ihnen stellvertretend für die Würzburger Gruppe der bundesweiten Initiative "Omas gegen Rechts", die für den heutigen Samstag zu einer Mahnwache für die Demokratie aufgerufen hat. 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben Sie bei der Stadt angemeldet. Es werden sicherlich sehr, sehr viele mehr kommen. Und das ist gut so.
Das Bedürfnis, den menschenverachtenden politischen Plänen der AfD etwas entgegenzusetzen, ist nach den Enthüllungen über ein Geheimtreffen, bei denen Rechtsextremisten ihre politischen Absichten unverhohlen präsentierten, offensichtlich groß. Davon künden dieser Tage die Zahlen bei ähnlichen Demonstrationen überall in der Bundesrepublik.

In Würzburg folgten diese Woche bereits über 2000 Menschen dem Aufruf "Nie wieder ist jetzt." Auch anderswo in Unterfranken, in den Haßbergen oder in Main-Spessart, denkt die Zivilgesellschaft darüber nach, ein überparteiliches Zeichen für Demokratie und Menschenwürde zu setzen. Nach dem Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann.
Danke für den Mut, auf die Straße zu gehen
Liebe Frau Wirth, herzlichen Dank, dass Sie mit Ihrem Namen in die Öffentlichkeit gehen - und bei der Mahnwache nicht nur Gesicht zeigen, sondern auch reden werden. Angesichts der Drohungen, die von den Rechten immer wieder geäußert werden, verlangt das einiges an Mut. Mut, der Sie und Ihre Mitstreiterinnen von "Omas gegen Rechts" auszeichnet.

Ihre überparteiliche Initiative existiert seit 2017, bereits ein Jahr später gründete Annemarie Gräbner die Ortsgruppe in Würzburg. Es geht den Omas darum, die Kinder- und Enkel-Generation demokratisch zu stärken, damit ihnen erspart bleibt, was Ihre Eltern und Großeltern in der Zeit des Nationalsozialismus erlebt haben. Ihr Engagement gilt Menschlichkeit und Toleranz.
Sie selbst sind, so haben Sie es mir dieser Tage erzählt, vor zweieinhalb Jahren dazu gekommen, um regelmäßig auf der Straße gegen die "Spaziergänge" der sogenannten Corona-Querdenker zu protestieren.
Es geht um die Zukunft der Enkel-Generation
Gut 50 Mitglieder zählt die Würzburger Ortsgruppe mittlerweile, zuletzt sind - mit dem Erstarken der AfD in den Umfragen - viele weitere dazu gekommen. Es gebe keine Altersbeschränkung beim Mitmachen, haben Sie gesagt - und man müsse dafür auch nicht nachweisen, Großmutter zu sein. Bei Ihnen persönlich seien es die Großnichten und Großneffen, für deren Zukunft Sie auch mit 65 Jahren regelmäßig bei Wind und Wetter auf die Straße gehen.
Warum stoßen Initiativen wie Ihre mit Demo-Aufrufen dieser Tage auf besonders viel Resonanz? So neu sind die politischen Grausamkeiten nicht, die Rechtsextreme bei ihrem Treffen in Potsdam besprochen haben. Verächtlich fallen denn auch viele Reaktionen in der AfD aus. Selbstverständlich wolle man millionenfach Menschen aus Deutschland abschieben, wenn man an die Macht komme, bekennen AfD-Abgeordnete unverhohlen. Welche Kriterien dabei angelegt werden sollen, wer es "verdient", vertrieben zu werden, lässt man bewusst offen. Hauptsache, man verbreitet in der Bevölkerung Angst und Schrecken.
Demokratische Werte verteidigen
Vielen Bürgerinnen und Bürgern haben diese Offenbarungen seitens der AfD endgültig die Augen geöffnet. Statt über die Beliebtheitswerte der Partei im Stillen den Kopf zu schütteln, wollen sie aufstehen vom Sofa - und Flagge zeigen: Wir Demokratinnen und Demokraten sind die Mehrheit, wir werden die Werte und den Wohlstand, die diese Gesellschaft seit 75 Jahren prägen, nicht wehrlos völkisch-nationalen Scharfmachern zum Fraß vorwerfen.

Dennoch, allein mit Appellen und Demonstrationen - und seien sie noch so fulminant - wird sich die AfD nicht einhegen lassen. Das zu glauben, wäre naiv. Politisch gegenhalten, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen, Entscheidungen erklären und die Menschen so auch in einer Zeit vieler Krisen besser mitnehmen, das liegt in der Verantwortung der Regierung und der demokratischen Opposition im Bund und in den Ländern.
Darüber hinaus wird seit einigen Wochen verstärkt über ein Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert. Liebe Frau Wirth, Sie haben mir erzählt, auch unter den "Omas gegen Rechts" sei man sich nicht einig, ob das der richtige Weg ist, sich der AfD und ihren verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu erwehren. Ich kann das gut nachvollziehen, ich habe mir da auch noch keine abschließende Meinung gebildet.
Soll man die AfD verbieten?
Einerseits haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes Lehren aus dem Aufstieg der Nationalsozialisten gezogen, als sie die Möglichkeit, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten, ins Grundgesetz schrieben. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt gekommen, diesen Paragrafen auch anzuwenden? Andererseits: Bedeutet es nicht ein Armutszeugnis für das Gemeinwesen, wenn es nicht gelingt, Rechtsextremisten durch politischen Diskurs klein- und von der Macht fernzuhalten?
Da werden wir Demokratinnen und Demokraten in den kommenden Wochen und Monaten noch viel diskutieren müssen. Ihre Mahnwache heute, liebe "Omas gegen Rechts", ist da ein wichtiger Weckruf. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei.
Herzliche Grüße,
Michael Czygan (Redakteur)
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