Sehr geehrter Herr Pfau,
in jeder Saison gibt es für gewöhnlich den einen Fall, der für Aufsehen sorgt und als Ausreißer in die Statistik des Verbands eingeht. Ansonsten, das betonen Sie und Ihre Mitstreiter im Bayerischen Fußball-Verband (BFV), sei Unterfranken landes- und bundesweit eine "Insel der Glückseligen", was Ausschreitungen und Gewaltexzesse auf Fußballplätzen angeht. Nun hat es gleich zwei Vorfälle in kurzer Zeit gegeben, bei denen die Situation auf dem Sportplatz völlig eskalierte.
Vor drei Wochen in Lengfeld und am vergangenen Sonntag in Bergtheim rasteten einige Beteiligte komplett aus, schlugen, traten, würgten. Die einen rannten hin, um zu schlichten, andere eilten dazu, um sich einzumischen. In beiden Fällen gab es Verletzte, die Polizei rückte an. So gibt es jetzt nicht nur bei Ihren Kollegen vom Sportgericht ein Nachspiel. Denn auch auf dem Fußballplatz gilt, dass Körperverletzung eine Straftat ist.
Sind es immer noch Ausnahmen, wenn ein Fußballspiel eskaliert?
Schlägerei auf einem Sportplatz im südhessischen Main-Kinzig-Kreis, Eskalation beim Fußball in der Nähe von Donauwörth, Schiedsrichter im oberbayerischen Landsberg bewusstlos geschlagen: Keine dieser Meldungen ist älter als zwei Wochen. Da fällt es mir schwer, an "einen Rückgang von Gewalt und Diskriminierung auf den Fußballplätzen" zu glauben, den DFB und BFV auf Basis ihrer Daten der vergangenen Saison in diesem August erst verkündet hatten.
Was ist los auf unseren Fußballplätzen? Erst vor kurzem wurde ein Fußballer aus Unterfranken für zwei Jahre und sieben Monate gesperrt, weil er im März bei Ausschreitungen nach einem Kreisliga-Spiel einen am Boden liegenden Zuschauer getreten hatte. Sind das noch die Ausreißer - oder die Folgen eines generell rücksichtsloseren Umgangs miteinander? Ich finde: Wer sich daneben benimmt, andere beleidigt oder angreift, der hat, ganz unabhängig davon, woher er kommt, wie er heißt oder was er spricht, nichts beim Fußball verloren.
Sie sind schon lange auf und am Spielfeld dabei, standen im Tor, waren Schiedsrichter und sind für den BFV seit langem als Bezirksvorsitzender und Vizepräsident aktiv. Ihnen ein X für ein U vorzumachen, dürfte schwierig werden. Auf der BFV-Webseite lese ich: "Der Bayerische Fußball-Verband tritt jeder Form der Diskriminierung und Gewalt entgegen." Auch steht da: "Es ist die absolute Ausnahme, dass ein Spiel eskaliert."
Fußball weckt Emotionen, Grenzen gibt es aber wohl keine mehr
Daran möchte ich weiter glauben, das Gefühl aber sagt mir: Der Ton ist rauer geworden, der Mensch leichter gereizt, die Hemmschwelle gesunken. Und das gilt nicht nur für den Erwachsenenbereich. Auch bei Kindern und Jugendlichen geht es mitunter "zur Sache". Im niedersächsischen Kreis Celle wurde im Oktober der komplette Junioren-Spielbetrieb aufgrund mehrere Vorfälle für drei Wochen ausgesetzt. Wenn es im Nachwuchs schon derart ausufert, was darf ich von den Heranwachsenden dann später mal erwarten?
Fußball weckt freilich Emotionen, wie hierzulande kein anderer Sport. Da nehme ich mich gar nicht aus. Was habe ich alles in die Ecke geschmissen, als mich der Club mal wieder in Rage gebracht hat. Was habe ich im Stadion aus der anonymen Masse heraus schon in Richtung Feld geschrien. Und als Aktiver hatte ich mir auch schon mal gedacht: Freundchen, beim nächsten Mal geht's auf den Fuß statt auf den Ball. Aber da gab es, da gibt es Grenzen.
Gemault wurde auch früher auf Amateursportplätzen. Neu ist die Heftigkeit. Ständiges Provozieren, immer einen draufsetzen, den anderen reizen, bis er schäumt, scheint salonfähig geworden zu sein. Meist fühlten sich die, die dann ausgerastet sind, durch beleidigende Sprüche und obszöne Gesten provoziert. Das rechtfertigt niemals die ausgeübte Selbstjustiz. Es gibt aber auch kein kleineres und größeres Übel. Beides ist inakzeptabel und verachtenswert.
Problem ist, wie man als Mensch mit anderen Menschen umgeht
Von Basketball, Handball oder Eishockey sind derartige Ausschreitungen hierzulande zwar kaum bekannt, doch ist nicht der Fußball das Problem, sondern wie man als Mensch mit anderen Menschen umgeht: in der Fußgängerzone, im Straßenverkehr, auf dem Sportplatz. Auch der Umgang mit Rettungs- oder Ordnungskräften ist ja rabiater geworden.

Was Zuschauer von außen über den Platz plärren, ist bisweilen schwer zu ertragen. Vielerorts wird das hingenommen, überhört, verharmlost – oder unter den Teppich gekehrt. Und taucht dann in keiner Statistik auf. Bis zur nächsten Schlägerei.
Lieber Herr Pfau, verlassen Sie sich nicht nur auf die Zahlen, schauen Sie genau auf X und U, und greifen Sie, wenn nötig, durch. Denn, und da spreche ich hoffentlich nicht nur für mich, ich mag die "Insel der Glückseligen".
Mit sportlichen Grüßen
Jürgen Sterzbach, Redakteur
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