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Trennfeld/München: Samstagsbrief: Reden Sie mit den Menschen in Unterfranken über die neuen Stromtrassen, Herr Aiwanger!

Trennfeld/München

Samstagsbrief: Reden Sie mit den Menschen in Unterfranken über die neuen Stromtrassen, Herr Aiwanger!

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    Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat zusätzliche Stromtrassen durch Unterfranken angekündigt. Warum das nötig ist, hat er den Menschen vor Ort bislang nicht erklärt.
    Bayerns Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat zusätzliche Stromtrassen durch Unterfranken angekündigt. Warum das nötig ist, hat er den Menschen vor Ort bislang nicht erklärt. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Sehr geehrter Herr Aiwanger,

    je länger ich Ihre Energiepolitik beobachte, desto schwindliger wird mir: Jahrelang waren Sie der lauteste Kämpfer gegen jede neue Stromtrasse in Bayern. Als Sie schon der zuständige Minister in München waren, haben Sie noch immer vollmundig erzählt, es könne ja sein, dass diese Stromautobahnen in Berlin oder sonstwo inzwischen fix beschlossen seien. Aber ob sie wirklich gebraucht und gebaut würden, stehe in den Sternen. Sie, der bayerische Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef, hätten da massive Zweifel.

    Schon damals war klar, dass das Blödsinn ist: Bayern ist ein Industrieland, das ohne stabile und sichere Stromversorgung nicht funktionieren kann. Strom wird in Bayern aber nicht mehr ausreichend erzeugt, sondern muss aus dem Norden importiert werden. Dafür braucht es neue Leitungen. So simpel ist das.

    Aiwangers Kehrtwende in Sachen Stromtrassen ist atemberaubend

    Inzwischen scheint diese Erkenntnis auch bei Ihnen angekommen zu sein. Ihre damit verbundene politische Kehrtwende ist allerdings atemberaubend: Denn seit ein paar Monaten erwecken Sie den Eindruck, als könnten Sie gar nicht genug neue Stromleitungen nach Bayern holen.

    Nur konsequent, dass Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die von Ihnen gerade präsentierte neue Freileitung P540, die auch durch Unterfranken verlaufen soll, provokativ den "Aiwanger-Bogen" nennt. 

    Dass Sie von der P540 offenbar selbst erst kurzfristig erfahren haben, spricht Bände. Denn ganz offensichtlich ist Ihre Einbindung in die Planung der Bundesnetzagentur und Ihr Einfluss auf mögliche Trassenverläufe in Bayern gleich null. Wenn es aber so ist, dass für eine stabile Stromversorgung in Bayern zusätzliche Leitungen gebraucht werden – wofür vieles spricht – dann wäre es doch Ihre erste Aufgabe als Fachminister, dafür zu sorgen, dass die Belastung der Bevölkerung zumindest möglichst fair verteilt wird.

    Für Unterfranken kann davon aber keine Rede sein: Die große Stromautobahn, die nun in Trennfeld im Landkreis Main-Spessart enden soll, ist unter anderem deshalb nötig, weil einst eine Anbindung von Bayerisch-Schwaben via Südost-Link-Trasse durch Ostbayern und über das nördliche Oberbayern verhindert wurde. Vor Ihrer Zeit, unter der Seehofer-Regierung.

    Gescheiterter Deal: Von der "Fulda-Main-Leitung" zum "Aiwanger-Bogen"

    Aber die "Fulda-Main-Leitung" verläuft anstatt durch Hessen durch Unterfranken, weil Sie sich, Herr Aiwanger, 2019 haben über den Tisch ziehen lassen: Als "Deal" sollte dafür eine Verbindung von Thüringen nach Bergrheinfeld im Landkreis Schweinfurt gestrichen werden. Eine Trasse, die nun auf neuer Route als "Aiwanger-Bogen", um den Nachbar-Ministerpräsidenten der Linken zu zitieren, wieder auferstanden ist. Selbst von Ihrem damals gegebenen Versprechen, dass die Fulda-Main-Leitung erdverkabelt und entlang der Autobahn A7 verlaufen wird, ist nichts mehr übrig.

    Unter dem Strich bleibt, dass etwa die Landkreise Bad Kissingen und Main-Spessart per Salami-Taktik nun fünf oder sogar sechs neue Stromtrassen verkraften müssen. Längst nicht alle davon wären wohl bei einer vorausschauenden bayerischen Energiepolitik nötig gewesen.

    Wenn man aber schon die Vergangenheit nicht mehr ändern kann, so wäre es doch nur recht und billig, die Gegenwart möglichst konstruktiv zu gestalten. Doch auch davon ist bei Ihnen, sehr geehrter Herr Aiwanger, aktuell nichts zu spüren: Während etwa in Main-Spessart von den Netzbetreibern längst ortsgenaue Detailpläne für die neuen Trassenverläufe verteilt wurden, veröffentlichen Sie nur Skizzen mega-breiter Trassenkorridore, die mehr Verwirrung als Klarheit schaffen.

    Und beim "Aiwanger-Bogen" P540 knallen Sie die neuen Pläne den Verantwortlichen vor Ort per kurzfristig einberufener Video-Schalte auf eine Art und Weise vor den Latz, die Sie in der Vergangenheit bei vergleichbarem Verhalten der Berliner Ampel zu nicht zitierfähigen Kraftausdrücken verleitet hat.

    Aiwanger hat die Verantwortlichen vor Ort mit dem Holzhammer vor den Kopf gestoßen

    Dass sich deshalb auch Thüringens Regierungschef Ramelow über Sie echauffiert, mag dem dortigen Landtagswahlkampf geschuldet sein. In jedem Fall haben Sie mit Ihrer total verunglückten Kommunikation so ziemlich jeden in Unterfranken mit dem Holzhammer vor den Kopf gestoßen, der sich konstruktiv um die Stromtrassen-Frage bemüht.

    Das Mindeste wäre es deshalb, wenn Sie die regionalen Landräte, Bürgermeister oder Klimamanager jetzt nicht alleine im Regen stehen lassen würden. Sie sind doch sonst stets ein Freund des kräftigen Wortes, der in den vergangenen Wochen keine noch so kleine Demo-Bühne für einen breitbeinigen Auftritt ausgelassen hat.

    Stehen Sie also Ihren Mann und fahren Sie nach Main-Spessart, nach Münnerstadt oder nach Bad Königshofen – und erklären Sie den Menschen dort, warum Sie sich geirrt haben, als Sie ihnen jahrelang vormachten, ein Industrieland wie Bayern brauche gar keine neuen Stromleitungen. Diskutieren Sie darüber, wie man die Belastungen in Unterfranken vielleicht noch reduzieren kann. Machen Sie also das, was Sie von anderen immer so vehement einfordern: Nehmen Sie die Menschen vor Ort ernst und reden Sie endlich mit Ihnen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Henry Stern, Landtagskorrespondent

    Persönliche Post: der SamstagsbriefJedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.MP

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