Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Meinung
Icon Pfeil nach unten
Samstagsbrief
Icon Pfeil nach unten

Würzburg: Samstagsbrief: Schiri Bauer, helfen Schokoküsse dem Fußball?

Würzburg

Samstagsbrief: Schiri Bauer, helfen Schokoküsse dem Fußball?

    • |
    • |
    Immer häufiger sehen Fußballer rot – in doppeltem Sinn.
    Immer häufiger sehen Fußballer rot – in doppeltem Sinn. Foto: Patrick Seeger, dpa

    Lieber Herr Bauer,

    vielleicht haben Sie mir schon einmal die gelbe Karte gezeigt. Wenn, dann kann ich mich nicht daran erinnern – und Sie wohl noch weniger. Tausende Spiele haben Sie als Schiedsrichter in der Region schon geleitet. Viele im Amateur-, wohl noch mehr im Jugendbereich. Als Sie im März 2018 Ihre 3000. Partie pfiffen, brachten Sie den U13-Kickern Schokoküsse mit. Im April 2019 feierten Sie Ihren 70. Geburtstag. Natürlich auf dem Spielfeld, natürlich mit Schokoküssen für die Spieler.

    Sie pfeifen seit Jahren in den Spielklassen, in denen ich viele Jahre gegen den Ball getreten habe. Am längsten habe ich das für den SV Heidingsfeld und die SG Randersacker getan. Es ist also gut möglich, dass wir uns schon einmal in kurzen Hosen begegnet sind. Vielleicht haben wir sogar diskutiert. Vielleicht wurde es sogar laut. Im Eifer des Gefechts. Weil Sie – aus meiner Sicht – damals bestimmt mal falsch gepfiffen haben.

    Schiedsrichter Ludwig Bauer aus Gerbrunn (Lkr. Würzburg) pfiff schon Tausende Spiele.
    Schiedsrichter Ludwig Bauer aus Gerbrunn (Lkr. Würzburg) pfiff schon Tausende Spiele. Foto: Ludwig Bauer

    Aber, lieber Herr Bauer, Eskalationen, wie sie zuletzt von den Amateurplätzen berichtet wurden musste ich nie erleben. Sie vielleicht? Klar gab es schon immer hitzige Wortgefechte zwischen Spielern und Unparteiischen. Auch sogenannte Rudelbildungen, in die der Schiedsrichter unversehens verwickelt wurde. Viel zu oft auch derbe Beleidigungen, meist von Hitzköpfen außerhalb des Platzes. Sie kennen diese Leute: Väter, die von den maradonagleichen Künsten des Sprösslings überzeugt sind. Betreuer, für die ein Kreisklassenspiel keine geringere Bedeutung als ein Champions-League-Finale hat. Oder Menschen, die sich sonntags zum Ultra-Fan ihrer Dorfmannschaft wandeln.

    Es ist ja nicht verwunderlich, dass in der Parallelwelt Amateurfußball, wo sonntags der Mittelstürmer schnell zum Messi des ganzen Dorfes aufsteigen kann und das U19-Talent ronaldohafte Attitüden pflegt, die Uhren anders ticken. Aber dass ein Spieler, wie am Sonntag in Hessen geschehen, einen Schiedsrichter krankenhausreif schlägt? Dass, wie in Berlin, Ihre Kollegen in Streik treten, wegen der überbordenden Gewalt auf den Plätzen?

    Natürlich drängt sich da die Frage auf, wo das herkommt. Schnell ist von der gesellschaftlichen Verrohung im Allgemeinen die Rede, dem sinkenden Respekt gegenüber Autoritäten. Das klingt zwar abgedroschen, ist aber sicher nicht falsch. Möglicherweise aber hat der Fußball ein ganz eigenes Problem.

    Der Fußball hat seine Unschuld verloren. Klar, auch dieser Satz ist mittlerweile abgedroschen. Aber auch der ist wahr. Nicht nur wegen der Korruption im Profibereich und dem Eindruck vieler Fans, dass es heute mehr um Show und Geld als um Sport geht. Die Uefa kann auf noch so viele Trikotärmel das Wort "Respect" drucken lassen. In Einspielern vor Live-Übertragungen können sich noch so viele Spieler gegen Rassismus positionieren. Es können sich noch so viele Funktionäre vor Kameras stellen und gewalttätige Fans verurteilen. Es bleibt dabei: Der Profi-Fußball hat als Vorbild versagt.

    Ein Beispiel: Am selben Tag, an dem der Amateur-Kicker in Hessen den Schiedsrichter ins Krankenhaus geprügelt hat, brannten – nicht zum ersten Mal – Franck Ribéry die Sicherungen durch. Der Ex-Spieler des FC Bayern und Neuzugang des AC Florenz schubste nach Abpfiff einen Linienrichter, musste von einem Betreuer weggezogen werden. Was im Großen passiert, wird im Kleinen nachgeahmt.

    Hand aufs Herz, Herr Bauer: Hatten Sie schon einmal Angst auf dem Platz? Oder ist Ihnen in den vergangenen Tagen mal der Gedanke gekommen, die Pfeife an den Nagel zu hängen?

    Ich könnte mir vorstellen, dass der offene Brief, den der DFB und der Bayerische Fußball-Verband nun an ihre Schiedsrichter geschickt haben, für den ein oder anderen Ihrer Kollegen reichlich spät kommt. Da sichern die Verbände den Schiedsrichtern zu: "Wir lassen Sie nicht allein!" Und sie versprechen, man wolle "die Ursachen" für die "Zunahme an Gewalt und an Gewaltintensität" analysieren und bestehende "Initiativen zur Reduzierung der Gewalt" auf den Prüfstand stellen. Das klingt gut, aber irgendwie schwammig wie das Innere Ihrer Schokoküsse.

    Obwohl ... Schokoküsse werden zwar sicher keinen eskalierenden Spieler oder hitzköpfigen Zuschauer beruhigen. Aber ein kleiner Beitrag können sie sein: Als Sie vor Ihrer 3000. Partie die Süßigkeiten an die Spieler verteilten, sagte ein Betreuer: "So etwas habe ich in meiner langen Tätigkeit noch nicht erlebt." Und er war überzeugt, würde Ihr Beispiel Schule machen, "würde das Verhältnis Spieler-Schiedsrichter auf einer ganz anderen Basis stehen".

    Mit sportlichen Grüßen

    Benjamin Stahl, Redakteur

    Einer bekommt Post: der "Samstagsbrief" Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück. Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden