Der Fraktionsvorsitzende der AfD im thüringischen Landtag ist eine hoch umstrittene Figur. Mit der „Erfurter Resolution“ begründete Björn Höcke die völkische AfD-Strömung „Der Flügel“. Der Verfassungsschutz stuft den „Flügel“ als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebungen ein. Neben Verfassungsschützern und politischen Gegnern bringen auch Sozialwissenschaftler und Historiker Höckes Positionen mit völkischen und geschichtsrevisionistischen Überzeugungen in Verbindung. Wer Höcke verstehen will, muss seine Reden lesen, sagt Literaturwissenschaftler Heinrich Detering. In seinem Buch „Was heißt hier ,wir??“ beschäftigt sich der Literaturwissenschaftler mit den rhetorischen Strategien des AfD-Politikers.
Frage: Gibt es bei Björn Höcke noch etwas zu enttarnen?
Heinrich Detering: Die Absicht, etwas zu enttarnen, hatte ich eher bei den betont konventionell auftretenden Bildungsbürgern wie Alexander Gauland. Ich möchte zeigen, dass Höcke kein Außenseiter und Einzelgänger innerhalb der AfD ist. Seine Äußerungen bringen lediglich krasser zum Ausdruck, was als Argumentationsmuster in den Äußerungen Gaulands und anderer zu beobachten ist, die vornehmer und gebildeter erscheinen möchten.
Welche rhetorischen Stilmittel sind in jeder Rede Höckes zu finden?
Detering: Unbegründete Gleichsetzungen, das Reden mit suggestiven Unterlassungen, unauffälligen Unterstellungen, das Spiel über die metaphorische Bande.
In Ihrem Buch schreiben Sie von „kalkulierten Mehrdeutigkeiten“. Wie genau spielt Höcke dieses Sprachspiel?
Detering: Eine der Floskeln, für die sich Höcke empört zu Unrecht kritisiert fand, war die Rede vom „Denkmal der Schande“. Höcke fragte nach der öffentlichen Debatte über seine Äußerung, was er denn Falsches gesagt habe. Ob denn der Holocaust keine Schande gewesen sei?
Wie lautet Ihre Antwort?
Detering: Nichts von dem, was Höcke mit der Floskel gesagt haben wollte, stand im Kontext seiner Rede. Dort war weder vom Holocaust die Rede noch vom Vernichtungskrieg im Osten oder von anderen Untaten der Nazi-Herrschaft. Sondern nur von der angeblichen Schande, die den Deutschen dadurch zugefügt worden sei, dass die Alliierten sie ab 1945 ihren „Wurzeln“ demokratisch entfremdet hätten. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin erinnert aus Höckes Sicht nicht an die Schande des Völkermordes. Es ist für ihn vielmehr selbst die Schande.
Können seine Anhänger Höckes Sprachspiele überhaupt alle dechiffrieren?
Detering: Oh ja, so schwierig ist das ja nicht; man muss das Offensichtliche nur wahrnehmen wollen. Das gilt beispielsweise auch für den performativen Gestus des Führers, der sich in Redeweisen äußert wie: „Ich weise euch den Weg“.
Was meint Höcke damit?
Detering: Immer wieder beansprucht Höcke in seinem rhetorischen Gestus, ein mit höherem Wissen ausgestatteter Einzelner zu sein. Ihm gegenüber sieht er die Masse seiner Anhänger, die von ihm Anweisungen zu empfangen hat. Das ist das Führerprinzip als Performanz, ohne dass es ausgesprochen werden müsste. In Höckes Auftreten liegt hier der Trick, nicht in einem einzelnen Wort.
Ein anderes Höcke-Wort sind die „wohltemperierten Grausamkeiten“. Welchen metaphorischen Hallraum öffnet er damit?
Detering: Das ist ein Satz, der wie vieles bei Höcke aus dem Spracharsenal von Götz Kubitschek …
… dem neurechten Publizisten und Geschäftsführer des Antaios-Verlags …
Detering: … kommt. Über die intellektuellen Abhängigkeiten Höckes von Kubitschek ist oft spekuliert worden. Gerade die „wohltemperierten Grausamkeiten“ zeigen einen rhetorischen Gestus, den wir bei Kubitschek oft beobachten.
Ein Höcke-Satz, der einen schaudern lässt: Man werde „leider ein paar Volksteile verlieren“, die „zu schwach oder nicht willens sind“.
Detering: Wenn es eine Rhetorik gibt, die dazu gemacht ist, unmittelbar in eine gewaltsame Tat überzugehen oder sie zu ermöglichen, dann ist es diese.
Warum?
Detering: Sie unterstellt erstens das Bild von einem „Volkskörper“ und ist zweitens nicht mehr weit entfernt von der Unterscheidung zwischen lebenswerten und lebensunwerten Teilen dieses Körpers. Ich könnte für diese nur metaphorisch vermittelte Gewaltdrohung noch andere Beispiele nennen.
Bitte.
Detering: In einer anderen Rede hat Höcke davon gesprochen, dass die Kirchen, die er „Angstkirchen“ nennt, die „Altparteien“ und Gewerkschaften „unser liebes Vaterland auflösten wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl“. Dann fügt er hinzu: „Wir Patrioten werden diesen Wasserstrahl jetzt zudrehen.“
Das Zudrehen eines Wasserstrahls klingt nicht besonders einschüchternd.
Detering: Aber was genau ist mit dieser Metapher gemeint, was kann damit nur gemeint sein? Höcke spricht es nicht aus. Aber es kann sich nur um eine Reihe von Akten handeln, mit deren Hilfe den besagten gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit genommen wird, sich zum Nachteil des „lieben Vaterlands“ zu äußern. Wenn das nicht die Beschreibung eines Systemwechsels ist, der die Meinungsfreiheit der Kirchen, Gewerkschaften und Parteien abschafft, dann weiß ich nicht, wie die metaphorisch sonst aussehen sollte.
Zu wem spricht Höcke: zu den bereits Überzeugten oder den noch zu Überzeugenden?
Detering: Ausdrücklich spricht Höcke in seinen programmatischen Reden zu einem Kreis von schon Dazugewonnenen. Das „Wir“, das meinem Buch den Titel gegeben hat, ist in diesen Redesituationen nicht mehr das „deutsche Volk“ allgemein. Sondern es ist das „Wir“, das bereits zur Bewegung gehört. Die anderen sind die Verblendeten, die noch immer demokratisch verführt sind. Es ist das „Wir“ einer Art Elite, die Höcke in der Vorstellung bestärkt, zu den Eingeweihten zu gehören, und die deshalb auch befähigt dazu sein soll, seine Weisungen überhaupt recht zu verstehen und in die Tat umzusetzen.
Gibt es einen weiteren Adressatenkreis?
Detering: Ja, und er wird deutlicher sichtbar, wenn man die Höcke-Rhetorik mit derjenigen seines Lehrmeisters Kubitschek zusammen sieht, der sich sehr viel akademischer, intellektueller und belesener gebärdet.
Wer soll sich angesprochen fühlen?
Detering: Gewonnen werden sollen intellektuell empfängliche und mit den bestehenden Verhältnissen Unzufriedene. Denen soll klargemacht werden: „Ihr gewinnt durch den Anschluss an unsere Gruppe und nicht zuletzt durch die Übernahme unserer rhetorischen Strategien einen Überlegenheitsgestus, mit dem ihr eure Zugehörigkeit zur Elite der Eingeweihten markieren könnt.“ Es geht immer um das triumphale und spöttische Durchschauen von etwas, was die anderen, die blöden Verblendeten nicht erkennen können.
Höcke wird dämonisiert. „Der Dämokrat“ titelt der „Spiegel“…
Detering: … komplett daneben. Entsetzlich.
Schießt der „Spiegel“ übers Ziel hinaus?
Detering: Ich halte gerade dieses Titelbild für denselben Fehler, der vor 1933 und dann wieder nach 1945 von – oft wohlmeinenden – bürgerlichen Kommentatoren mit Blick auf Adolf Hitler gemacht worden ist. Dessen Dämonisierung zu einer satanischen Gestalt macht aus dem monströsen Kleinbürger noch einmal einen Übermenschen, nur eben mit negativen Vorzeichen. Aber das Übermenschliche bleibt bestehen. Diesen Fehler sollte man bei Höcke und seinen Spießgesellen unbedingt vermeiden.
Wer oder was also ist Björn Höcke?
Detering: Ein mittelmäßig intelligenter, von seinen eigenen Ressentiments und Größenfantasien überwältigter Redner, der alles versucht, um sich selbst den Anstrich des Dämonischen und unergründlich Gefährlichen zu geben. Aber der Dämon ist so nackt wie Hans Christian Andersens Kaiser.