Erst vor wenigen Tagen ist im ZDF der großartige Dokumentarfilm "Schwarze Adler" gesendet worden – irgendwann spät in der Nacht, als der Live-Fußball von der Europameisterschaft zur besten Sendezeit vorbei war. Immerhin. Darin sprechen schwarze Fußballspielerinnen und -spieler, die für Deutschland den gestickten Adler auf der Trikotbrust getragen haben, über Rassismus, den sie hierzulande erfahren haben. Erwin Kostedde etwa, erster Schwarzer in der Nationalelf, sagt in die Kamera, dass sich niemand vorstellen könne, wie das sei, "mit so einer Hautfarbe durch Deutschland zu laufen". Er habe sich als Kind oft stundenlang gewaschen, um weißer zu werden.
Im EM-Studio des ZDF hatte auch Jimmy Hartwig auf dem Sofa gesessen. Auch er ist ehemaliger deutscher Nationalspieler, auch er hat – nicht nur im Stadion – offenen Rassismus erlebt, ist beschimpft, beleidigt worden. Auch er ist ein Protagonist des Films und ein leidenschaftlicher Streiter für Toleranz, für Respekt. Hartwig beschwört die einende Kraft, die der Fußball in seinem Ursprung besitzt. Das ist der Kern des Spiels. Egal, welche Hautfarbe: eine Mannschaft, ein Ziel. Dieser Film, sagt Hartwig, gehöre in den Schulen gezeigt.
Doppelpässe mit Despoten gehören zum Spielsystem der Verbände
Von Jimmy ist es nicht weit zum Regenbogen und zur neuesten verlogenen Debatte im immer mehr verkommenden Milliarden-Geschäft Fußball. Es geht um die Frage aus dem Erdaltertum des Spiels: Darf Fußball politisch sein?
Nein, sagen die großen Verbände und führen gerne die Neutralität an, zu der sie sich zwar offiziell verpflichtet fühlen, die sie selbst aber ständig missachten, sobald es um wirtschaftliche Interessen und Machterhaltung geht. Doppelpässe mit Despoten gehören längst zum eingeübten Spielsystem von Verbänden wie FIFA, UEFA oder dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC).
Oder hat sich zuletzt einer dieser drei Verbandspräsidenten zu den unmenschlichen Bedingungen geäußert, unter denen die Arbeiter die Stadien errichten müssen in Katar, dem Gastgeberland der nächsten Fußball-Weltmeisterschaft im Winter 2022?
Das vom europäischen Fußball-Verband UEFA mit Verweis auf politische Neutralität ausgesprochene Verbot, die Münchner Arena zum EM-Spiel an diesem Mittwoch gegen Ungarn in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen, ist scheinheilig.
Der Kompromissvorschlag der UEFA ist zynisch
Kritiker könnten einwenden, dass der Stadt München als Initiator die besondere Erleuchtung der Arena sehr spät eingefallen sei, zwei Spiele haben bei dieser EM schließlich dort bereits stattgefunden. Die UEFA hat dieses Argument gerne in ihrer Begründung aufgegriffen und spricht von einer Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abziele. Dort hat die vom rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geführte Regierung ein Gesetz verabschiedet, das die Informationsrechte von Jugendlichen zu Homosexualität und Transsexualität einschränkt.
Und wenn es so wäre? Richtig, Toleranz sollte einem nicht erst bei Beispielen wie dem aus Ungarn einfallen. Dennoch hätte das Arena-Licht ein wichtiges Signal sein können. So aber zeigt die UEFA, was von all ihren Aktionen zu halten ist, mit denen sie per Plakaten in Stadien zu mehr Respekt auffordert: nichts. Sie sind Etikettenschwindel, Marketing. Der dem Verbot von der UEFA hinterhergeschobene Vorschlag, die Arena an einem anderen Tag bunt erstrahlen zulassen, ist zynisch dazu: Menschlichkeit nur nach Terminkalender?
Ist Menschlichkeit politisch? Oder ist Menschlichkeit der Wert, auf dem alles fußt: Frieden. Freiheit. Auch Fußball. Die Farben des Regenbogens stehen für diese Menschlichkeit, für Toleranz, für Vielfalt, für Respekt. Für den Schutz von Minderheiten in einer Gesellschaft, deren sozialer Zusammenhalt immer mehr zerbröselt. Sich für diese Werte einzusetzen, ist keine politische Botschaft. Es ist ein Zeichen von Empathie.