Die Mehrheit der Deutschen plagt sich mit gravierenden Zukunftsängsten. Umfragen zeichnen ein bedrückendes Bild von der augenblicklichen Gemütslage der Bevölkerung. Steigende Preise im Supermarkt und an den Tankstellen, explodierende Energiekosten, hohe Inflation – die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine bereiten den Menschen noch größere Sorgen als die Auswirkungen von Corona.
Daran ändert auch das Entlastungspaket der Bundesregierung nichts. Tankrabatt und 9-Euro-Ticket wirken wie ein schlecht haftendes Pflästerchen auf einer klaffenden Fleischwunde. Die Hans-Böckler-Stiftung spricht mit Blick auf die grassierenden Ängste von einer "stark verunsicherten Gesellschaft, die mit wenig Zuversicht in die Zukunft blickt".

Immer mehr Menschen ängstigen sich vor einem sozialen Absturz. Entsprechende Befürchtungen sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitet. Beschäftigte mit geringem Einkommen sind genauso davon betroffen wie Top-Verdiener. Und je niedriger der Lohn, desto größer die Sorge vor Altersarmut.
Keine andere Nation bibbert so vor steigenden Preisen wie Deutschland
Besonders die Inflation macht den Bürgerinnen und Bürgern erheblich zu schaffen - übrigens kein neues Phänomen hierzulande. Denn die Furcht vor Geldentwertung gehört zu den Deutschen wie Gartenzwerge, Sauerkraut und Pünktlichkeit. Kein anderes Land bibbert so vor steigenden Preisen. Seit Jahrzehnten nimmt bei Befragungen die Sorge vor höheren Lebenshaltungskosten einen Spitzenplatz ein. Unabhängig davon, wie hoch die Inflation jeweils war. Im Schnitt lag die Teuerung zwischen 1960 und 2021 durchschnittliche bei 2,6 Prozent pro Jahr. Wahrlich, kein Grund zur Panik. Ist angesichts dessen die deutsche Ängstlichkeit noch normal? Oder haben wir es hier mit der hinlänglich bekannten "German Angst" zu tun?

Die Neue Züricher Zeitung (NZZ) spottete kürzlich, die "deutsche Apokalypseverliebtheit" finde "traumhaft sicher stets ihr neuestes Desaster". Die japanische Journalistin Akiko Yamashita wunderte sich im Deutschlandfunk: "Für mich sieht es so aus, als ob die Deutschen immer nach Problemen suchen, vor denen man Angst haben sollte." Und die britische Tageszeitung The Guardian ätzte vor einiger Zeit, man komme nicht umhin, von der "unerbittlichen Zuverlässigkeit" des Appetits der Deutschen auf Pessimismus beeindruckt zu sein. "Sprechen Sie mit den Leuten in den Cafés und Bars, und sie werden Ihnen sagen, dass das Land den Bach runtergeht, oder wenn nicht, ist es dabei."
Die "German Angst" hat ihre Wurzeln in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Tatsächlich fällt auf, dass in vielen anderen Ländern die Bewohnerinnen und Bewohner deutlich optimistischer ihr Tagwerk verrichten. In Finnland, Norwegen, Dänemark, Schweden oder der Schweiz ist es gerade mal gut ein Drittel der Bevölkerung, das sich einen Kopf wegen gestiegener Kosten macht.
Zur Ehrenrettung der vom Ausland als hasenfüßig abgestempelten Deutschen darf man allerdings darauf verweisen, dass die "German Angst" nicht von ungefähr kommt. Sie hat ihren Ursprung in der für das Land traumatischen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Erster Weltkrieg, große Inflation mit der Vernichtung der Ersparnisse, Nazizeit, Holocaust, Zweiter Weltkrieg - all das hat tiefe Spuren hinterlassen, die zu einem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis führten.
Pfingsten ist ein gutes Beispiel dafür, wie ängstliche Menschen zu mutigen Streitern werden
Das bevorstehende Pfingstfest ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie aus ängstlichen Menschen auf einen Schlag mutige Streiter werden können (Apostelgeschichte, 2. Kapitel). Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, erinnert daran, dass der Pfingstgeist vor allem "ein Geist der Nachdenklichkeit, ein Geist des Trostes und auch ein Geist der Zuversicht" ist.
Mehr Pfingstgeist und weniger "German Angst" könnten uns Deutschen trotz aller beklagenswerten äußeren Umstände nicht schaden.