Es ist falsch, dass die Olympischen Winterspiele in China stattfinden. Das Ausrichterland steht mit seiner Diktatur und seinen massiven Menschenrechtsverletzungen – vor allem gegen Minderheiten – jenen Werten entgegen, die der Sport für sich reklamiert. Dazu gehört auch die Freiheit. Aber Werte werden schon mal preisgegeben, wenn sie Geschäften und Interessen im Wege stehen.
In solchen Fällen zieht Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), gerne den Joker, mit dem er unliebsame Diskussionen abwürgt: Das IOC und damit der Sport sei unpolitisch und könne nicht die Probleme der Welt lösen. Deshalb hören wir von Bach kein Wort zu den Uiguren. Jenem Volk, das von den chinesischen Machthabern in Lagern interniert wird. Kein Wort zur Zensur der Medien. Kein Wort zu den Umweltzerstörungen für Olympiabauten.
Menschenrechte sind nicht verhandelbar
Aber: Menschenrechte sind kein politisches Thema. Menschenrechte sind Menschenrechte. Sie sind nicht verhandelbar. Es ist eine Schande für das IOC, dass es dazu schweigt. Und dass es mit der Vergabe der Spiele dieser Diktatur eine perfekte Maske liefert, mit der sich China zwei Wochen lang der Welt präsentieren darf.
Es ist oft zu hören, dass es nur zwei Bewerber für die Winterspiele 2022 gegeben habe: Almaty in Kasachstan und Peking in China. Pest oder Cholera. Das ist richtig. Doch genauso richtig ist es, dass das IOC selbst die guten Kandidaten vernichtet hat. Mit seiner Politik des Gigantismus. Mit seinen Knebelverträgen, in denen Ausrichterstädte finanziell ausgewrungen werden und die Gewinne allein dem IOC zufallen.
München beispielsweise mit den Alpen und traditionsreichen Wintersportorten vor der Haustüre erteilte einer Bewerbung für 2022 vor neun Jahren per Volksentscheid eine klare Abfuhr. Die Menschen entschieden sich nicht gegen den Sport. Sondern gegen das IOC. Gegen Umweltzerstörung. Das norwegische Oslo folgte dem Beispiel.
Bach macht sich zum Komplizen der chinesischen Machthaber
Denn um Sport geht es im IOC längst nicht mehr. Wieviel der Athlet den Herrschern der Ringe wert ist, zeigt in beklemmender Art und Weise das Beispiel der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai. Die dreimalige Olympiateilnehmerin hatte im November einem chinesischen Regierungspolitiker sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Ihre öffentliche Anklage war ein Hilfeschrei. Seitdem ist Peng Shuai verschwunden. Was also sollte ein fürsorgender Verband tun? Richtig.
Nicht so das IOC. Keine Kritik an China. Der IOC-Präsident setzt lieber, wie er sagt, auf "stille Diplomatie". Es ist eine von Bachs Lieblingsbeschäftigungen: Strippenziehen in Hinterzimmern. In einem inszeniert wirkenden Videotelefonat mit Peng Shuai machte sich Bach damit sogar zum Komplizen der Machthaber. Denn weiterhin weiß niemand, wo sich die 36-Jährige befindet.
Aufs IOC können sich die Sportler im Zweifel nicht verlassen
Die Sportlerinnen und Sportler wissen also, auf wen sie sich im Zweifel nicht verlassen können: das IOC. In der ARD-Doku "Spiel mit dem Feuer" von Felix Neureuther sagt der deutsche Alpin-Cheftrainer Wolfgang Maier, dass man sich als Athlet bei Olympia verhalten müsse "wie ein Schaf". Die Sportler, so der Trainer, "werden missbraucht" für die Erschließung neuer Märkte. Für das IOC empfinde er deshalb "null Wertschätzung". Diese Deutlichkeit ist selten zu vernehmen aus dem inneren Zirkel.
Viel öfter müssten Sportlerinnen und Sportler aufbegehren, gemeinsam hätten sie eine Macht. Auch die Medien müssen kritischer werden. Vor allem die TV-Sender. Zu oft noch sind sie als Inhaber der milliardenteuren Übertragungsrechte nur bildgewaltige Erfüllungsgehilfen des IOC. Insofern war es beeindruckend, wie klar und scharf Neureuther im Fernsehen das IOC und den Umgang mit Menschenrechten in China kritisierte. Am Ende fragt er: Wer braucht noch dieses Olympia? Die Antwort mag sich jeder selbst geben.