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WÜRZBURG: Leitartikel: Warum das Unwort des Jahres diesen Titel verdient hat

WÜRZBURG

Leitartikel: Warum das Unwort des Jahres diesen Titel verdient hat

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    Ein Kameramann nimmt das "Unwort des Jahres 2018" auf: Anti-Abschiebe-Industrie.
    Ein Kameramann nimmt das "Unwort des Jahres 2018" auf: Anti-Abschiebe-Industrie. Foto: Andreas Arnold, dpa

    "Anti-Abschiebe-Industrie" ist zum Unwort ist des Jahres 2018 gewählt worden. Eine gute Entscheidung, findet unsere Redakteurin Karoline Keßler-Wirth:

    Das Unwort des Jahres macht uns einmal im Jahr darauf aufmerksam, wie sich Debatten in unserem Land entwickeln und verändern. Dabei werden Begriffe gewählt, die aus Sicht der Jury gegen das "Prinzip der Menschenwürde" oder gegen "Prinzipien der Demokratie verstoßen". Diese sprachkritische Aktion gibt es seit dem Jahr 1991, und sie beruht auch auf dem Engagement von Bürgern, die ihre Vorschläge einreichen können.

    Rund 900 Einsendungen gab es zum Unwort des Jahres 2018, einige Begriffe wurden mehrfach genannt, insgesamt waren es um die 500 Vorschläge, die aus der Bevölkerung an die Jury geschickt wurden. Bei weitem der häufigste: "Asyltourismus". Doch schon im Vorfeld hatte Jury-Sprecherin und Sprachwissenschaftlerin Nina Janich darauf hingewiesen, dass im Jahr 2013 der Begriff "Sozialtourismus" Unwort des Jahres war, und daher die Chancen für den Begriff "Asyltourismus" eher schlecht standen. Weitere Vorschläge waren: "Vogelschiss", "Biodeutsche", "Hetzjagd" und  "DSGVO". 15 der Vorschläge hatte die Jury letzten Endes in die engere Wahl genommen.

    Das Unwort des Jahres kommt aus dem Migrationsdiskurs

    Nun ist es die "Anti-Abschiebe-Industrie" geworden, und damit folgerichtig ein weiterer Begriff aus dem Migrationsdiskurs. Mit "Anti-Abschiebe-Industrie" werden Einrichtungen bezeichnet, die daran mitarbeiten, nicht rechtmäßige Abschiebungen zu verhindern. Verwendet haben diesen Begriff unter anderem der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, und im Mai 2018 CSU-Politiker Alexander Dobrindt. Dieser hatte während einer Debatte im Bundestag über die "aggressive Anti-Abschiebe-Industrie" gesprochen, im gleichen Atemzug hatte er Klagen gegen Abschiebungen "Sabotage des Rechtsstaats" genannt. Die Jury kritisiert an ihrem gewählten Begriff, dass damit suggeriert werde, diese "Industrie" würde erst Asylberechtigte produzieren. Außerdem wird die Assoziation geweckt, diejenigen, die abgelehnte Asylbewerber unterstützen, würden dies tun, um viel Geld zu verdienen. Auch das sei diffamierend. Mit seiner Wortwahl hat Dobrindt in jedem Fall gründlich daneben gegriffen.

    Die Sagbarkeitsregeln verändern sich auf bedenkliche Weise

    Der Migrationsdiskurs hat in den vergangenen Monaten maßgeblich die öffentlichen und politischen Debatten bestimmt. Dabei wurden die Grenzen des Diskurses immer weiter nach rechtsaußen verschoben. Dies sieht auch die Jury so: Wenn ein wichtiger Politiker einer Regierungspartei so einen Ausdruck prominent im Diskurs platziere, zeige sich damit, "dass sich die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie auf bedenkliche Weise verändern", so Jury-Mitglied Nina Janich.

    Weitere Beispiele für diese Feststellung finden sich auch in den Unwörtern der vergangenen Jahre, darunter waren "Lügenpresse", "Gutmensch" und "Volksverräter". Die Gefahr dabei: Je häufiger unser Gehirn etwas hört, desto eher ist es bereit, dies als wahr anzuerkennen. Die Wissenschaft spricht in diesem Zusammenhang von "Framing", also vom Setzen eines Rahmens. Wir hören einen Begriff, und unser Gehirn denkt sich gleich ein Bild dazu. Jedes Mal, wenn wir dem Begriff begegnen, verankern wir diesen in unserem Kopf. Konkret gesagt: Je häufiger wir Politiker hören, wenn sie von Anwälten oder Nicht-Regierungs-Organisationen als "Anti-Abschiebe-Industrie" reden, desto eher glauben wir, dass da schon irgendwie etwas dran sein wird – genau darin liegt die große Gefahr.

    Nina Janich sprach im Zusammenhang mit der aktuellen Entscheidung über ihren Vater, den Philosophen Peter Janich. Für ihn war es von Bedeutung, dass Sprache nicht auf Kosten anderer gehen dürfe. In dieser Tradition steht das Unwort des Jahres. Wieder einmal hat die Jury eine gute Wahl getroffen: Der Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie" sollte uns allen die Gefahr bewusst machen, die von solchen Äußerungen ausgeht.

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