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WARSCHAU: Partner fühlen sich akut bedroht

WARSCHAU

Partner fühlen sich akut bedroht

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    Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht am Samstag (11.06.16) in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Würzburg mit Main-Post-Redakteur Justus Neidlein.
    Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht am Samstag (11.06.16) in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Würzburg mit Main-Post-Redakteur Justus Neidlein. Foto: Daniel Peter

    Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte kürzlich davor, „durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ die Lage im Osten Europas „weiter anzuheizen“. Damit sorgte er international für Irritationen. Doch, wie ist die Lage zwischen Nato und Russland tatsächlich? Und was bedeutet das für die Bundeswehr? Der Heeresinspekteur der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht von „Abschreckung“ und sieht die Nato-Staaten und die Bundeswehr kurz vor dem Nato-Gipfel Anfang Juli in Warschau vor vielfältigen Herausforderungen.

    Frage: Herr Vollmer, die Verteidigungsministerin hat kürzlich gesagt: „Wir müssen wegkommen von einem Prozess des permanenten Schrumpfens.“ Was sagt es über die Sicherheitslage in der Welt aus, wenn eine Armee wie die Bundeswehr wieder aufgerüstet wird?

    Jörg Vollmer: Wir haben in den letzten zwei Jahren zwei wesentliche Veränderungen erlebt. Das eine ist die Annexion der Krim und der sich anschließende Konflikt in der Ostukraine. Die Nato-Partnerländer im Osten – wie Estland, Lettland, Litauen, Polen oder Rumänien – fühlen sich dadurch akut bedroht.

    Außerdem haben wir 2014 erlebt, wie eine Terrororganisation – der sogenannte Islamische Staat – es geschafft hat, die irakische Armee zu zerschlagen, große Teile von Irak und Syrien zu erobern und ein Unrechtsregime zu etablieren. Die Folgen erreichen uns unmittelbar: die Terrorwelle und viele Menschen, die zu uns geflüchtet sind. Das sind die Rahmenbedingungen, auf die wir reagieren müssen. Das Befüllen unserer Struktur mit Personal und Material ist ein Teil davon.

    Wie reagiert die Nato auf die Situation im Osten?

    Vollmer: Beim Nato-Gipfel 2014 in Wales wurden verschiedene Dinge auf den Weg gebracht: So muss etwa die sogenannte Nato Response Force deutlich schneller verlegebereit sein. Das haben wir im vergangenen Jahr getestet. Demnach steht eine Brigade von etwa 5000 Männern und Frauen für drei Jahre zur Verfügung. Im ersten Jahr muss sie in 45 Tagen verlegebereit sein. Im zweiten Jahr in sieben Tagen und im dritten Jahr in 30 Tagen. So eine Reserve, so schnell einsetzbar in so einer Stärke, haben wir bisher in der NATO noch nicht gehabt. Außerdem wurde das Korps in Stettin zu einem sogenannten „High Readiness Corps“ weiterentwickelt; es wurde vor Kurzem durch die Nato zertifiziert.

    Das Korps trägt in Zukunft die Verantwortung für die Aktivitäten der Nato in Estland, Lettland, Litauen und Polen.

    Welche Strategie steht dahinter?

    Vollmer: Wir als 28 Nato-Staaten wollen gegenüber unseren Alliierten ein Signal der Solidarität setzen. So findet auch eine Vielzahl von Übungen in den östlichen Nato-Staaten statt. Und wir haben jeweils Truppenteile für bis zu sechs Monate temporär in den jeweiligen Ländern vor Ort.

    Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht am Samstag (11.06.16) in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Würzburg mit Main-Post-Redakteur Justus Neidlein.
    Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht am Samstag (11.06.16) in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Würzburg mit Main-Post-Redakteur Justus Neidlein. Foto: Daniel Peter

    Bei der neuen schnellen Nato-Eingreiftruppe ist auch das Bataillon 371 beteiligt. Laut Wehrbeauftragtem musste sich das Bataillon 15 000 Ausrüstungsgegenstände von anderen Verbänden leihen, um einsatzfähig zu sein. Dort fehlt das Material nun. Ist das Heer den neuen Aufgaben gewachsen?

    Vollmer: Diese Zahl, die durch die Öffentlichkeit „geisterte“ ist zwar sehr plakativ, bildet aber nicht die realen Verhältnisse ab. Wir haben ohne lange Vorwarnzeit für die Nato die schnellen Eingreifkräfte in einer Testphase aufgebaut. Das war eine Herausforderung. Denn damit die Truppe das kann, muss sie 100 Prozent ihres Materials vor Ort haben – vom Schützenpanzer über die Handwaffen, Nachtsichtgeräte, bis zur dienstlichen Armbanduhr.

    Es war in der Tat eine schmerzhafte Erkenntnis, dass die Einsatzbereitschaft erst dadurch erreicht werden konnte, Ausrüstung und Gerät aus verschiedenen Heeresverbänden an einem Standort zusammenzuführen. Aber es gelang in einer Nato-Übung nachzuweisen, dass wir in der Lage sind, innerhalb von sieben Tagen die Einsatzbereitschaft herzustellen.

    Warum war die Truppe nur zu 70 Prozent mit Material ausgestattet?

    Vollmer: Wir nehmen momentan die Heeresstruktur 2011 ein. Diese wurde im Jahr 2011 unter gänzlich anderen sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen konzipiert. Damals ging man davon aus, dass das Personal der Bundeswehr aufgrund von Ausbildung, Urlaub, Krankheiten, Elternzeiten usw. nur zu 70 Prozent vor Ort sei. Der Fokus unserer Aufträge lag damals auf den Einsätzen in Afghanistan oder auf dem Balkan. Das hat auch dazu geführt, dass wir bestimmte Fähigkeiten aufgegeben haben: zum Beispiel bei den Pionieren, beim Anlegen von Sperren oder beim Überwinden von Gewässern. Jetzt hat sich die sicherheitspolitische Situation geändert. Jetzt ist es wichtig, diese Fähigkeiten wieder zurückzugewinnen.

    Ist das Manöver „Anakonda“ in Polen notwendige Vorbereitung auf einen möglichen russischen Angriff oder kontraproduktive Provokation?

    Vollmer: „Anakonda“ ist eine Übung, die alle zwei Jahre in Polen stattfindet. Eigentlich eine nationale polnische Übung. In diesem Jahr hat Polen diese Übung aber erweitert und wollte auch mit erproben, wie sie Verstärkung von anderen Staaten eingliedern können. Die Übung dient grundsätzlich dazu, zu überprüfen, wie Polen seine Verteidigungsfähigkeit verbessern kann.

    Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht am Samstag (11.06.16) in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Würzburg mit Main-Post-Redakteur Justus Neidlein.
    Der Inspekteur des Heeres der Bundeswehr Jörg Vollmer spricht am Samstag (11.06.16) in der Balthasar-Neumann-Kaserne in Würzburg mit Main-Post-Redakteur Justus Neidlein. Foto: Daniel Peter

    Wie ist so kurz vor dem Gipfel in Warschau die Stimmung in der Nato? Der Gipfel wird von vielen politischen Baustellen flankiert, wie die europäische Flüchtlingspolitik, die Entwicklungen in der Türkei oder das Image der USA in Europa.

    Vollmer: Es gibt natürlich schon zwei unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen: eine östliche und eine südliche. Die Herausforderung für die Nato ist, gemeinsam beide möglichen Szenarien im Auge zu behalten. Wir sind an vielen Übungen in den baltischen Staaten und Polen, aber auch in Portugal und Spanien (Trident Juncture 2015), beteiligt. Gleichzeitig haben wir aber in Afghanistan unser Kontingent erhöht, sind in Mali mit zwei Aufträgen, im Irak und im Kosovo.

    Ich gehe fest davon aus, dass es auf dem Gipfel in Warschau gelingen wird, ein klares Signal der Solidarität zu senden. Die positive Entwicklung seit dem letzten Gipfel gibt genügend Anlass, positiv in die Zukunft zu schauen.

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