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„Rechte Gewalt ist in Deutschland seit langer Zeit eine Gefahr“

Leitartikel

„Rechte Gewalt ist in Deutschland seit langer Zeit eine Gefahr“

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    Nikola Hieke arbeitet für die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus.
    Nikola Hieke arbeitet für die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus. Foto: Foto: LGR

    Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke stellt sich die Frage nach politisch motivierten Gewalttaten mit neuer Dringlichkeit. Denn auch in Bayern steigt die Zahl gewaltbereiter Rechter. Das sagt Nicola Hieke von der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus. Sie setzt sich seit 2007 mit der extremen Rechten und Rassismus auseinander und erarbeitet Gegenstrategien.

    Frage: Nach dem Mordfall Lübcke warnen Politiker und Experten vor rechter Gewalt. Ist das begründet?

    Nicola Hieke: Rechte Gewalt ist in Deutschland bereits seit langer Zeit eine Gefahr. Seit Jahrzehnten gibt es immer wieder auch Meldungen über das Bekanntwerden bewaffneter rechtsextremer und neonazistischer Gruppierungen, die durchaus den Charakter terroristischer Vereinigungen haben.

    Welche?

    Hieke: Hier weisen wir beispielsweise auf die Old School Society, die Gruppe Freital, Combat 18 und nicht zuletzt den NSU hin – mitsamt eines Umfeldes an Unterstützern.

    Drohen weitere Gewalttaten?

    Hieke: Ja. Man kann in Deutschland durchaus von einem Problem der rechten Gewalt sprechen, auch in Bayern. Es gibt diese Gruppierungen, und es gab sie auch schon immer. Diverse Fälle aus den letzten Jahrzehnten sind bereits bekannt: das Oktoberfestattentat 1980, verübt von einem Rechtsextremisten, der Kontakt zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann hatte. Oder die vereitelten Anschlagspläne bayerischer Neonazis auf die Zeremonie für die Grundsteinlegung der neuen Synagoge in München im November 2003.

    Wie oft tötet rechte Gewalt?

    Hieke: Neben Diskriminierungen und Bedrohungen im Alltag endet rechte Gewalt nicht nur im Fall des ermordeten Regierungspräsidenten Walter Lübcke tödlich. Zivilgesellschaftliche Recherchenetzwerke verweisen auf mindestens 169 Tote durch rechte Gewalt in Deutschland. Die Statistik führt unter anderem die neun Menschen mit an, die im Sommer 2016 am Münchner Einkaufzentrum OEZ durch den damals 18-jährigen David S. getötet wurden. Auch hier war die Auswahl der Opfer und die Tat rassistisch motiviert.

    Fühlen sich Rechtsextreme hinsichtlich der Verbreitung ihres Gedankengutes „sicherer“ als früher?

    Hieke: Was die Verbreitung des Gedankenguts betrifft, ist dieses in den letzten Jahren, unter anderem auch durch zahlreiche Hass-Kommentare im Internet, deutlich sichtbarer geworden. Parolen, Hass-Kommentare und Hetze offenbaren eine Verbreitung rechtsextremer und rassistischer Einstellungen in der Bevölkerung, die nicht neu ist und die in Einstellungsbefragungen in Deutschland bereits seit den frühen 2000er Jahren immer wieder thematisiert wurde.

    Hetze findet aber auch im realen Leben statt.

    Hieke: Ein Beispiel aus München sind die Kampagne und die Wahlplakate der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ mit der Aufschrift „Reserviert für Volksverräter“, die unlängst im Zuge der Europawahlen unter anderem vor dem NS-Dokumentationszentrum in München angebracht wurden. Oder „Solidaritätsstatements“ für rechte Täter aus der Szene, wie die „Freiheit für Wolle“–Kampagne für Ralf Wohlleben, einer der angeklagten Neonazis im NSU-Prozess.

    Wie gut sind gewaltbereite Rechtsextreme in Bayern organisiert?

    Hieke: Bayern war in der Geschichte der Bundesrepublik bereits öfter ein Kulminationspunkt für rechtsterroristische Strukturen in Deutschland: Oktoberfestattentat, Anschlagsplanungen gegen die Grundsteinlegung für ein jüdisches Gemeindezentrum, fünf NSU-Morde und ein vereitelter Anschlag auf linke Strukturen in Bamberg im Jahr 2016. Zudem gibt es neonazistische Gruppierungen, die klar gewaltorientiert sind und hohen Organisationsgrad besitzen. Dazu gehört „Der III. Weg“.

    Nimmt die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer zu?

    Hieke: Aus den sogenannten Mitte-Studien aus den Jahren 2016 und 2018 wird eine Zunahme der Gewaltbereitschaft in rechten Milieus deutlich. Sie konstatieren auch einen Zusammenhang zwischen einem politischen Rechtsruck und dem Anstieg rechter Gewalt. Auch die BKA-Statistik verzeichnet eine Zunahme rechter Gewalttaten ab dem Herbst 2015. Darüber hinaus warnt der bayerische Verfassungsschutz vor einer zunehmenden Radikalisierung und Gewaltbereitschaft unter militanten Neonazis.

    Handelt es sich in erster Linie um Einzeltäter?

    Hieke: Aus unserer Sicht ist es fatal, dass in solchen Fällen sehr oft sofort die These des Einzeltäters bemüht wird. Dies führt zu einer falschen Einschätzung der Lage, in der oft psychische Gründe und nicht die Ideologie der Täter als ausschlaggebend bewertet werden. Rechtsextremisten sind weltweit extrem gut vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig.

    Werden engagierte Bürger konsequent genug geschützt?

    Hieke: Diejenigen, die sich aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus und für die Demokratie vor Ort einsetzen, sind nicht selten Ziel von Bedrohungen und Angriffen. Eine aktive Zivilgesellschaft braucht daher auch die Unterstützung durch staatliche Strukturen. Leider werden viele dieser Initiativen oft stigmatisiert.

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