Unterfrankens Lehrer sind so wütend, dass sie auf die Straße gehen. Sie werfen Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) vor, dass sie die verfehlte Personalplanung des Ministeriums ausbaden müssen und fordern die Rücknahme der Maßnahmen zur Unterrichtssicherung. Wie reagiert Piazolo? Negiert die Fehlbeurteilung, kündigt 300 neue Grundschullehrer-Stellen an und wirbt um Verständnis.
Frage: Noch im Sommer haben Sie gesagt, dass die Unterrichtsversorgung in Bayern sicher sei. Jetzt haben Sie Notmaßnahmen eingeleitet. Woher kommt Ihre Fehlbeurteilung?
Michael Piazolo: Nein, es gibt keine Fehlbeurteilung. Ich habe im Sommer gesagt: "Die Unterrichtsversorgung ist für dieses Schuljahr sichergestellt." Diese Aufgabe stellt sich aber jedes Jahr aufs Neue. Wenn wir die Maßnahmen, die wir eingeleitet haben, nicht umsetzen würden, würden uns im nächsten Schuljahr rund 1400 Lehrkräfte im Grund-, Mittel- und Förderschulbereich fehlen.
Müsste man nicht Engpässe früher sehen?
Piazolo: Selbstverständlich. Das tun wir. Unsere Prognosen reichen viele Jahre in die Zukunft. Sie zeigen seit Jahren, dass wir für Realschulen und Gymnasien mehr Bewerber haben als Stellen und für Grund-, Mittel- und Förderschulen weniger Bewerber als Stellen. Deshalb steuern wir seit Jahren dagegen. Zum Beispiel mit der Zweitqualifizierung von bislang 2600 Gymnasial- und Realschullehrern für die Grundschulen. Wir haben aber auch mittel- und langfristige Maßnahmen ergriffen wie die Erhöhung der Studienplätze fürs Grundschullehramt um 700 und die Einrichtung von Lehrstühlen für die Ausbildung von Lehrkräften für Sonderpädagogik. Bei neuen Entwicklungen passen wir unsere Bedarfsprognosen entsprechend an. In diesem Jahr etwa sind mehr junge Lehrkräfte als erwartet in Teilzeit oder in Elternzeit gegangen. Dann müssen wir nachsteuern.

Hat das Ministerium den Notstand selbst verschuldet?
Piazolo: Nein. Da wird häufig gesagt, es sei doch nicht so schwer, die Geburtenraten zu berechnen, um auf den künftigen Lehrerbedarf zu schließen. Das tun wir selbstverständlich. Die Geburtenraten sind aber nicht der einzige Faktor. Wir hatten in den letzten Jahren in Bayern unerwartet viele Zuzüge aus anderen Bundesländern, aber auch aus EU-Ländern – insbesondere im Jahr 2018. Außerdem kamen 2015 und 2016 viele Migranten mit schulpflichtigen Kindern. Darauf haben wir kurzfristig reagiert, indem wir 1500 Lehrer zusätzlich eingestellt haben. Außerdem haben wir mit zusätzlichen Stellen den Ganztagsbereich und die Inklusion gestärkt. Im Jahr 2019 hat der Freistaat wieder 1000 neue Lehrer zusätzlich eingestellt. Das ist auch der Fluch der guten Tat. Mit zusätzlichen Stellen, die man schafft, nimmt man Lehrkräfte vom Markt.
Um wieviel Prozent haben Sie sich verrechnet?
Piazolo: Wir haben rund 150 000 Lehrer in Bayern. Fürs neue Schuljahr brauchen wir noch 1400 Lehrkräfte. Damit liegen wir unter einem Prozent. Das ist ein erhöhter Lehrerbedarf, den wir in unsere Lehrerbedarfsprognose einbezogen haben – kein Rechenfehler.
Ist die Versorgung dann wieder nur für ein Jahr gesichert?
Piazolo: Wir reden von diesem einen Jahr. Wir werden außerdem noch einmal 300 Studienplätze für Grundschullehrkräfte schaffen.
Viele unterfränkische Junglehrer bekommen nur Stellen in Oberbayern angeboten. Diese lehnen sie oft ab, gehen lieber ins nahe Hessen oder nach Baden-Württemberg. Können Sie diese Vergabepolitik ändern?
Piazolo: Wir haben in München und Oberbayern überproportional viel Zuzug. Dazu kommt, dass wir bei der Lehrerbildung Schwerpunkte haben: einer davon ist Würzburg. Dort wird über Bedarf ausgebildet. Und weil wir denjenigen, die schon lange vor Ort arbeiten, Garantien geben, was ihren Arbeitsplatz betrifft und insbesondere den schwangeren Lehrerinnen garantieren wollen, dass sie an ihre Schulen zurückkommen, ist es dann häufig so, dass wir gerade von den Jüngeren mehr Mobilität abverlangen müssen. Aber es ist nicht möglich, den Lehrern etwa am Untermain bessere Bedingungen zu verschaffen als dem Rest der Lehrerschaft. Das würde in anderen Regionen Bayerns zu einem Aufschrei führen.

Unterfrankens Lehrer haben protestiert, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen. Was sagen Sie einer älteren Lehrerin, die das bislang geltende Angebot des Antragsruhestands mit 64 Jahren annehmen wollte und jetzt weiterarbeiten muss?
Piazolo: Ich verstehe, dass betroffene Lehrkräfte auch mit Unmut reagieren. Wir haben uns die Maßnahmen aber sehr sorgfältig überlegt. Wir wollen die Qualität hochhalten in den Schulen und deshalb setzen wir im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht auf unqualifizierte Seiteneinsteiger, kürzen Unterricht oder lassen Stellen unbesetzt, sondern setzen auf unsere hochqualifizierten Lehrkräfte. Zum konkreten Fall kann ich sagen, dass wir in der Vergangenheit den Antragsruhestand mit 63 oder 64 Jahren genehmigt haben. Aber dabei handelt es sich nicht um einen gesetzlichen Anspruch. Es ging immer nur um die Frage, ob jemand früher als gesetzlich vorgesehen in den Ruhestand gehen kann. Solche Anträge sind "nach dienstlichen Belangen" zu entscheiden. Und "dienstliche Belange" verlangen jetzt, dass solche Anträge auf vorzeitigen Ruhestand um ein Jahr nach hinten verschoben werden. Wobei es immer noch eine Einzelfallprüfung und Ermessensentscheidung gibt.
Rudern Sie zurück angesichts des massiven Widerstands?
Piazolo: Ich habe mir die Maßnahmen gründlich überlegt und wusste im Vorfeld, dass wir unseren Lehrkräften da einiges zumuten. Ich möchte für die vorübergehend notwendigen Maßnahmen um Verständnis werben.
In einer früheren Version dieses Interviews hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Da war von 100 fehlenden Lehrern die Rede - es muss aber 1400 lauten. Wir haben dies ausgebessert.