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Journalisten schreiben über "mutmaßliche Täter"

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Journalisten schreiben über "mutmaßliche Täter"

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    Ich kann das Wort 'mutmaßlich', das bei Beschreibungen von Straftaten immer wieder stereotyp ohne sprachliche Abwechslung auftaucht, nicht mehr hören, ohne dass mein Blutdruck steigt!“ Handschriftlich lässt das ein Leser aus Wiesentheid die Redaktion wissen. Gerne versuche ich etwas zu seiner Gesunderhaltung beizutragen, fährt der doch mit beängstigendem Hochdruck fort, „vielleicht meinen Sie mit 'mutmaßlich', dass das Gericht die Täterschaft noch nicht offiziell festgestellt hat? Das ist doch Unsinn! Das Strafmaß ist noch nicht festgestellt, die Täterschaft steht fest.“

    Er irrt. Ich verstehe aber, warum. Denn auch Journalisten sind gelegentlich versucht, vom Täter zu schreiben, wenn die Beweislage bei einer Gerichtsverhandlung sonnenklar erscheint, ja, wenn gar ein Geständnis vorliegt. Aber ein Medium darf Angeklagte eben nicht zu Tätern machen, bevor das Gericht das nicht letztinstanzlich festgestellt hat. Erst danach darf das „mutmaßlich“ vor dem „Täter“ verschwinden. Denn sogar Geständnisse erweisen sich zuweilen als falsch. „Mutmaßlich“ bezieht sich wirklich auf die Täterschaft, nicht auf das Strafmaß. Dieses Adjektiv wird gerade dann eingesetzt, wenn geringe Zweifel an einer Schuld bestehen. Synonyme sind „vermutlich“ oder „wahrscheinlich“. Bei Unsicherheit über eine Täterschaft darf „mutmaßlich“ nicht verwendet werden. Meist ist dann nur vom Angeklagten und von den Vorwürfen gegen ihn die Rede. Anwälte gehen häufig gegen Medien mit Rechtsmitteln vor, falls die dem Gericht voraus sind und Angeklagte Mandanten zu Tätern machen.

    Der Rechtsgrundsatz, niemals jemanden vorzuverurteilen, gilt gerade für Medien, die viele Menschen erreichen. Die Schädigung, die einer Person zugefügt werden kann, wäre danach schwer zu reparieren.

    Nun bezieht sich die Kritik des Wiesentheiders auf einen Beitrag vom 10.7. („Messerattacke in Suchtklinik – Mutmaßlicher Täter gefasst – Drei Verletzte“). Da hat die Redaktion nicht aufgepasst, weil darin einmal vom „Täter“ die Rede ist, sonst stets korrekt vom „mutmaßlichen“. Das verwirrt. Ich glaube aber dennoch, dass die meisten Leser verstehen konnten, dass trotz einer nach Tathergang und Festnahme erdrückenden Beweislage vom „mutmaßlichen Täter“ berichtet wurde.

    Wissen sollte man noch: Berichte über Straftaten fußen so gut wie nie auf eigenen journalistischen Beobachtungen. Meist müssen sich Redaktionen auf Informationen von Polizei oder Staatsanwaltschaft stützen. Auch darin findet sich das „mutmaßlich“. Kein Journalist darf sich der sprachlichen Abwechslung zuliebe darüber hinwegsetzen.

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