Gerade vor Wahlen sollten Äpfel nicht mit Birnen verglichen werden. Das heißt, unterschiedliche Handlungen und Tatsachen dürfen nicht gleichgesetzt werden. Aus Bayerns Wahlkampf halte ich mich in diesem Zusammenhang heraus. Ein lehrreiches journalistisches Spannungsfeld entnehme ich stattdessen dem "Columbia Journalism Review". Es geht um den amtierenden US-Präsidenten Joe Biden (80) und seinen Vorgänger, den möglichen Herausforderer um das hohe Amt, Donald Trump (77).
Alter und Gebrechlichkeit des US-Präsidenten in den Medien
Medien-Beiträge, in denen Bidens Alter und mögliche Gebrechlichkeit zur Sprache kommen, seien auffallend (Wann geht er ins Bett? Was bedeutet es, dass er über das Zubettgehen scherzt? Wann wacht er auf?), ist dem Journalism Review der Columbia University New York zu entnehmen. An anderer Stelle des Review erfährt man wie weit das geht: Als ein Mitarbeiter des Weißen Hauses gefilmt wurde, wie er während des Präsidentenbesuchs in Polen die Flugzeugtreppe hinabstürzte, spottete Daily Mail, "diesmal war es nicht Joe". Auch in Deutschland spielte dieses Thema ein Rolle.
Belastende Veröffentlichungen und mediale Aufmerksamkeit
So fragt der Autor, Jon Allsop, ob das wohl Bidens beginnende Kampagne zur Wieder-Eroberung des Weißen Hauses 2024 belastet. Allsop kritisiert konkret: Als der US-Präsident aus Indien und Vietnam zurückkam, hätten sich viele Medien mehr auf sein Alter konzentriert als auf Ergebnisse der Reise, etwa zum Krieg in der Ukraine oder zu Chinas globalen Ambitionen. Belastend für Biden seien zudem Beiträge über unbewiesene Verbindungen zu zwielichtigen Geschäften seines Sohnes Hunter.

Allsop sieht im Journalism Review den Grund für diese Alters-Fokussierung darin, dass die mediale Aufmerksamkeit noch stärker den strafrechtlichen relevanten Anklagen gegen Donald Trump gelte. Nun würden sich Mainstream-Medien bei Veröffentlichungen über den Präsidenten verrenken, um überparteilich zu bleiben. "Wenn das bedeute, dass ein antidemokratischer mit einem prodemokratischen Kandidaten gleichgesetzt werde, solle es so sein." So habe das Margaret Sullivan (The Guardian) hingenommen, heißt es.
Erinnerungen an Kardinalsünden vor der Wahl 2016
Doch Kritiker, so heißt es weiter, erinnern an die Kardinalsünde vor der Präsidentschaftswahl 2016. Damals hätten wichtige Nachrichtenmedien Hillary Clintons Nutzung eines privaten E-Mail-Servers in ihrer Zeit als Außenministerin unverhältnismäßig aufgebauscht. Eine falsche Gleichsetzung mit den vielen Fehlern Trumps sei dadurch entstanden. Das befürchtet man erneut, auch wenn noch ein Drittel der Präsidentschaft Bidens bis 2024 bevorsteht.
Ziel sei nun aber nicht eine falsche Ausgeglichenheit (false balance) beim Verteilen von Lorbeeren, meint Allsop. Vielmehr wollten Trump-Anhänger über Medien ein Gefühl vermitteln, als sei in der Politik jeder genauso alt, so korrupt und schlecht wie der andere. Alles sei möglich, Integrität spiele keine Rolle mehr.
Ungenügender Journalismus vor Wahlen
Journalisten können sich nach entsprechenden Veröffentlichungen noch einreden, sie würden ja nur fragen und berichten, was Wähler denken oder Politiker sagen. Laut Allsop ist es aber zynisch, alles durch das Prisma der Wahlen zu betrachten. Das ist zu kurz gegriffen. Ich werte das als ungenügenden Journalismus. Auch in Deutschland wird davor gewarnt, über Wahlkämpfe wie über Pferderennen zu berichten: Wer liegt vorne? Wer fällt zurück? Wer holt auf?
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
- Hier können Sie sich zur Landtagswahl in Bayern informieren.
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2013: "Ein Indiz dafür, dass die Falten der Kanzlerin, die Wähler nicht beeinflussen können"
2013: "Kandidaten vor der Wahl im Portrait: Überschriften sollten eine klare Linie erkennen lassen"
2014: "Besonders im Wahlkampf schlägt Parteigängern und Interessensvertretern die Stunde"
2018: "Transparenz für das redaktionelle Konzept"
2020: "Mit Wahl-Prognosen wird nichts suggeriert"
2021: "Warum 'false balance' in Medizinberichten unverantwortlich ist"
2021: "Wann eine Bewertung von Kandidaten-Aussagen vor der Wahl notwendig ist"